Glosse: Privatsphäre, Indiskretion und Internet

Glosse

Bin gestern S- und U-Bahn gefahren. Wer behauptet, das Internet kennt dank Facebook, Google, Twitter und diesem ganzen anderen neumodischen Sozialmedien-Krams kaum noch eine Privatsphäre, spinnt! Umgekehrt wird erst ein Schuh draus. Oder?

Während meiner etwa 15-minütigen Fahrt mit dem Hamburger Verkehrsverbund konnte ich mindestens drei „eklatante Verstöße“ gegen die Privatsphäre in meinem Waggon beobachten:

Da war zum einen die mittelalte Dame auf dem Weg ins Büro, wahrscheinlich eine „Personalerin“, die – bereits leicht gestresst am frühen Morgen – gut sichtbar 5 bis 8 Bewerbermappen auf ihrem Schoß liegen hatte. Sie blätterte sie – eine nach der anderen – ganz altmodisch und haptisch durch, während sie sich zu Monika, Bernd und Sebastian (die Nachnamen konnte ich neben den teilweise sehr schlechten Bewerberfotos ebenfalls erkennen) Notizen machte. Eigentlich hätte ich mir auch die Telefonnummern der Bewerber notieren können, um dann halbe/halbe mit den armen Schweinen bei erfolgreicher Klage gegen das Unternehmen zu machen. War mir aber zu anstrengend.

Dann war da der jugendliche Typ mit dem Handy, der als nächstes neben mir saß und die ganze Zeit so vis SMS "chattete", dass ich jeden einzelnen Buchstaben mitlesen konnte. Nach nur einer Minute war ich jedoch bereits so gelangweilt von den belanglosen Aussagen dieses Nerds, dass ich für die nächsten Minuten lieber die dunkle Tunnelwand anstarrte.

Das „datenmißbrauchsspezifische Finale“ startete dann mit einem kleinen, resoluten Napoleon-Büro-Typen in den Dreißigern, der mir gegenüber Platz nahm. Er aktivierte sofort sein zweifellos teures Android-Handy, um einen Kollegen anzurufen, dem er lautstark als Jurist oder sonstiger Paragrafenreiter, als der er sich entpuppte, Änderungen für ein Schriftstück im kleinsten Detail durchgab. Ich verstand trotz angestrengten Hinhörens – wie bei Juristen üblich – natürlich inhaltlich kein Wort, bis auf das des Unternehmens, um das es mit großer Sicherheit bei diesem hochsensiblen Schriftstück im Werden ging sowie dem Namen des Geschäftsführers, mit dem „das ganze schnellstens abgestimmt werden muss.“

Ich könnte jetzt wohl weitermachen, wenn meine S- und U-Bahn-Fahrt an diesem Punkt nicht ihr Ziel erreicht hätte. Ich stieg aus und dachte  kopfschüttelnd an die klassische "Huhn-Ei-Sache". Was war zuerst da: die Indiskretion oder das Internet?