T2E: Der Beginn einer neuen Video-Streitkultur? (Exklusiv-Interview)

Interview

Interessante Diskussionen zu einem wichtigen Thema via Videobeitrag. Das ist die Kernidee von Talk to the Enemy, einer neuen Plattform der beiden Journalistinnen Sabine Streich und Katrin Eigendorf. medienmilch.de sprach mit Katrin Eigendorf über Ziele, erste Erfahrungen und die wichtige Frage, wie man damit Geld verdient:

Für alle, die das Online-Angebot noch nicht kennen: Was ist – in kurzen Worten – Talk to the Enemy?


Katrin Eigendorf:
Talk to the Enemy, kurz T2E, ist eine Website für Streitkultur in einer Sprache, die jeder versteht: Video. Auf der Webseite setzen sich jeweils fünf junge Videoblogger aus zwei gegensätzlichen Lagern über ein gesellschaftlich relevantes Thema auseinander. Die Debatte läuft über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, am Ende gewinnt derjenige, der am besten argumentiert. Abstimmen können die User, indem sie die Videos der Vblogger bewerten. Journalistisch begleitet wird T2E von uns mit Experteninterviews und Faktenchecks. Nach drei Monaten startet dann ein neues Thema mit neuen Protagonisten.

Auf wie hoch würden Sie den prozentualen Anteil der aktiven Videoblogger an den Internet-Nutzern in Deutschland schätzen und wie sehen diese konkret aus?

Katrin Eigendorf:
Video ist eine Kommunikationsart im Netz, die sich gerade sehr stark entwickelt und mit den vereinfachten technischen Möglichkeiten auch weiter wachsen wird. Konkrete Nutzerzahlen stehen hier leider nicht zur Verfügung. YouTube könnte den Trend aber wahrscheinlich am besten widerspiegeln: Im Juni 2010 hatten sie weltweit 490 Millionen Unique Visitors und 69 Milliarden Page Views.
Es gibt also jetzt schon Videos und Streit en masse im Netz, was fehlt ist Orientierung, Ordnung und Qualität. Hier versuchen wir mit T2E anzusetzen: Wir bieten jungen Vbloggern eine Plattform und bilden sie gleichzeitig aus, um qualitativ guten user generated content zu bekommen – eine Form Medienkompetenz zu vermitteln.

Das Konzept hatte den SCOOP-Ideenwettbewerb der Axel Springer Akademie gewonnen. War das die Voraussetzung für eine Realisation oder nur eine Bestätigung?

Katrin Eigendorf:
Beides. Es hat uns sehr gefreut, dass die Jury des SCOOP-Ideenwettbewerbs sich für unser Konzept entschieden hat. Dass wir es jetzt mit Unterstützung der Axel Springer Akademie umsetzen können, ist toll, denn ohne finanziellen Druck lässt sich ein Medienexperiment viel kreativer umsetzen, man kann auch einmal etwas ausprobieren ohne zu stark auf Quoten oder kommerziellen Erfolg zu blicken.
 
Gibt es ähnliche Videokonzepte schon im Ausland?

Katrin Eigendorf:
Als wir begonnnen haben, das Konzept weiter zu entwickeln, haben wir nach ähnlichen Websites gesucht, auch international. Zu diesem Zeitpunkt, das war im März, haben wir keine Videoplattform für Streitkultur gefunden. aber in diesem Bereich entwickelt sich zurzeit sehr viel, vielleicht gibt es inzwischen auch anderswo ein ähnliches Projekt. Wenn ja, würden wir uns natürlich gerne mit den Machern vernetzen und austauschen.

Wie lange dauerte die Online-Realisation und wie viele Personen waren und sind im Projekt involviert?

Katrin Eigendorf:
Fast ein halbes Jahr ist von der Idee bis zur Realisation vergangen. Zunächst haben wir aus der Idee ein Medienprodukt gemacht, die Website entwickelt, das Thema ausgesucht, zehn Videoblogger gecastet, ausgebildet … Ganz schön viel Arbeit, wenn man sich vorstellt, dass wir nur ein kleines Team sind: Die Kollegen von der Axel Springer Akademie, Marc Thomas Spahl, Rudolf Porsch und Ansgar Mayer; die Kollegen von mediaturns in Hamburg, Mark Phillip, Kristin Thielemann und Markus Losleben, die vor allem die Website entwickelt haben, aber auch redaktionell beteiligt sind, unsere Praktikantin Christine Gertler und wir beide, Sabine Streich und ich.

Das erste Thema war  "Arm gegen Reich". Wie sehen die ersten Erfahrungen hier in der Praxis aus? Sind Sie mit der bisherigen Resonanz zufrieden?

Katrin Eigendorf:
Die Resonanz ist sehr gut. Wir werden für das Konzept praktisch überall gelobt, was uns natürlich freut. Positiv wird die Idee bewertet, mit T2E eine neue Streitkultur zu beleben. Gelobt wird auch die Qualität der Videos auf unserer Seite. Allerdings wünschen sich viele User kürzere Videos, daher haben wir unsere Vblogger gebeten, künftig lieber kürzer und dafür häufiger zu posten. Das Thema "Arm gegen Reich" ist politisch sehr aktuell, wenn man sich die Debatten um Managergehälter und Hartz 4 anschaut. Toll ist, dass die Besucher mehr als fünf Minuten auf unserer Seite verweilen, und das ist ein Durchschnittswert. Viele auch länger, im Peak haben wir sogar über neun Minuten durchschnittliche Verweildauer pro Tag und Visit. Die Besucher nehmen sich also wirklich Zeit, den Streit zwischen Arm und Reich zu verfolgen. Wie erfolgreich T2E in Zukunft ist, wird vor allem auch von der Auswahl der nächsten Themen abhängen, da werden wir die Community auch einbinden und mit abstimmen lassen.

Was darf ein Videoblogger bei Talk to the Enemy, was nicht?

Katrin Eigendorf:
Wir wollen StreitKULTUR im Netz, d.h. Beleidigungen, Schmähungen und Hetze sind tabu. Wir möchten, dass unsere Vblogger offen aufeinander zugehen, ruhig hart, aber fair miteinander streiten. Darauf achten wir schon bei der Auswahl der Vblogger. Ansonsten haben sie alle Freiheit, sich zu dem Thema zu äußern, auch künstlerisch. So haben letztens zwei Vblogger gegeneinander gerappt – wir hatten ein echtes Rap-Battle auf T2E, das ist sehr gut angekommen. Also: Viel Freiheit, aber klare Regeln für den Umgang miteinander.
 
Auch wenn dies sicherlich noch sehr früh für diese Frage ist: Wie will Talk to the Enemy Geld verdienen? Kann man bereits Werbung schalten?

Katrin Eigendorf:
Geldverdienen steht ja nicht im Vordergrund. Als Siegerprojekt des SCOOP-Ideenwettbewerbs finanziert die Axel Springer Akademie T2E, unabhängig von Marktforschung und Businessplänen. Sollten sich aber Werbekunden für unser Projekt interessieren, so steht unsere Türe selbstverständlich offen.

Wo sehen Sie Diskussionsvideoportale wie Talk to the Enemy in 10 Jahren im Relevant-Online-Set?

Katrin Eigendorf:
Dies ist eine spannende Frage. Aus unserer Sicht wird Bewegtbild im Internet weiter an Bedeutung gewinnen. Dieser Trend ist seit längerem auch bei großen Nachrichtenportalen wie BILD.de zu sehen. Im Bereich der Streitkultur erwarten wir, dass Debatten persönlicher und emotionaler werden. So werden sich eigentlich fremde Lebenswelten online wieder annähern. Ganz unter dem Motto "Zeig' mir Deine Welt, dann zeig' ich Dir meine". Wir wollen hier mit T2E durchaus einen Weg aufzeigen und Impulse geben.
 
Haben Sie ein Werbebudget, damit sie schneller bekannt werden? Gibt es weitere Unterstützungsanzeigen bei Axel Springer Medien? Wo sehen Sie die kritische Nutzermasse bei Talk to the Enemy?

Katrin Eigendorf:
T2E ist ein Medienexperiment, insofern können wir hier  auf keine Erfahrungswerte zurückgreifen. Wir versuchen uns derzeit in der Blogger- und Debattierclubszene zu vernetzen. Wir sind natürlich noch kein Massenmedium, aber das Projekt entwickelt sich. Und die Axel Springer Akademie unterstützt uns mit Rat und Tat. Dazu gehören auch Anzeigen in Printmedien, um auf unser Projekt aufmerksam zu machen. Außerdem sind wir in den sozialen Netzwerken aktiv. Die Fangemeinde wächst hier kontinuierlich.

 

Das Interview mit Katrin Eigendorf führte Oliver Hein-Behrens.

 

www.talk2enemy.de