"Gefälschter" Nespresso/Clooney-Spot-Interview: "Die Konzerne erschreckt das, sie haben darauf noch keine Antworten parat"

Interview

Solidar Suisse hat Nestlé in einem „gefälschten“ Videospot aufgefordert, fair gehandelten Kaffee ins Sortiment aufzunehmen. Das Ergebnis nach nur einer Woche: 600.000 Leute haben das Video auf Youtube gesehen, 30.000 Leute haben bei der Kampagne mitgemacht und George Clooney eine E-Mail geschickt und es gab bereits ein Gespräch mit Nespresso. Ein außerordentlicher Erfolg! medienmilch.de sprach deshalb exklusiv mit Christian Engeli, Leiter Kommunikation und Kampagnen Solidar Suisse:

Solidar Suisse hat Nestlé in einem „gefälschten“ Videospot aufgefordert, fair gehandelten Kaffee ins Sortiment aufzunehmen. Sie haben dafür ungefragt den Nespresso-Werbemann George Clooney eingespannt. Hatten Sie keine Angst vor juristischen Folgen?

Christian Engeli:
Wir haben diese Möglichkeit natürlich in Betracht gezogen und uns entsprechend auch vorbereitet. Ich denke, Nespresso hätte es sehr schwer gehabt, juristisch gegen uns vorzugehen. Erstens haben wir versucht, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Zum Beispiel kommt im Spot das Original-Logo von Nespresso nirgends vor (obwohl das wohl kaum jemandem aufgefallen ist). Andererseits wäre Nespresso in der Öffentlichkeit noch mehr unter Beschuss gekommen. Tatsächlich hat uns Nespresso zu keinem Zeitpunkt mit rechtlichen Schritten gedroht, sondern bereits nach kurzer Zeit den Dialog gesucht.

Wie aufwändig war die Produktion des Videos und des Konzeptes für die Kampagne?

Christian Engeli:
Vermutlich entsprechen die Kosten für den Spot in etwa dem Trinkgeld vom echten George Clooney. Der Spot hat wenige tausend Schweizer Franken gekostet.

Kampagnen wie ihre sind von Nichtregierungsorganisationen noch relativ selten. Woran liegt das?

Christian Engeli:
Für uns ist es nicht das erste Mal, dass wir auf Online-Kommunikation setzen. Wir stellen fest, dass selbst Multinationale Konzerne Mühe haben, darauf zu reagieren. Plötzlich spielt das Werbebudget eine untergeordnete Rolle, sondern es geht um Inhalte. Ein konkretes Beispiel: Nespresso hat versucht, ihre Videoantwort auf unseren Film mit bezahlter Werbung auf Youtube zu verbreiten. Um auf diese Weise auf gleich viele Klicks wie wir zu kommen, müssen sie rund 500.000 Euro investieren. Wir haben die Resonanz gratis, weil tausende von Leute unseren Film verbreitet haben.

Das Ergebnis nach nur einer Woche dieser Aktion (Stand: 11.9.2011): 600.000 Leute haben das Video auf Youtube gesehen, 30.000 Leute haben bei der Kampagne mitgemacht und George Clooney eine E-Mail geschickt und sie hatten bereits ein erstes Gespräch mit Nespresso. Überrascht?

Christian Engeli:
Das Resultat übertrifft unsere kühnsten Träume. Wir haben diese Woche zwar kaum geschlafen, doch nun besteht eine realistische Chance, dass sich tatsächlich etwas ändert, dass Nespresso-Kaffee tatsächlich fair wird.

Mal ehrlich, hätten sie das auch ohne Clooney geschafft? Wie wichtig sind solche "Faktoren" für den Erfolg?

Christian Engeli:
Ein schulmeisterlicher Lehrfilm hätte nie diesen Erfolg gehabt, klar. Aber es gibt ja tausende von Möglichkeiten, um einen überraschenden Film zu produzieren, der eine Botschaft eindrücklich transportiert. Kreativität ist gefragt.

Wie soll nun die Kampagne weitergehen? Wann sehen Sie sich am Ziel?

Christian Engeli:
Das Ziel bleibt: fairer Nespresso. Wir bleiben dran.

Sie schreiben in einer E-Mail: "Dies zeigt die neue Macht von Social Media. Früher konnten Unternehmen die Kommunikation mit ihren Kundinnen und Kunden vollständig steuern. Heute jedoch können sich diese unter einander austauschen und gemeinsam auf PR-Statements der Konzerne reagieren. Wenn das Solidar-Nespresso-Beispiel Schule macht, wird sich noch manch ein Konzern warm anziehen müssen in nächster Zeit." Wie meinen Sie das?

Christian Engeli:
Früher war die Kommunikation zwischen Konsumenten und Unternehmen absolut asymmetrisch. Nur die Unternehmen verfügten über Kanäle, in denen sie ihre Botschaften transportieren konnten – z.B. Werbespots, auf der Verpackung etc. Kunden und Kundinnen hingegen konnten höchstens einen Brief mit einem Einzelfeedback schreiben. Das hat sich mit Social Media geändert. Wir Konsumenten können uns plötzlich vernetzen, Informationen austauschen, eine strategische gut durchdachte Kommunikation aufgleisen. Die Konzerne erschreckt das, sie haben darauf noch keine Antworten parat.

Von der Kampagne losgelöst: Was empfehlen Sie anderen Organisationen und Verbänden bei ähnlichen Social Media Aktionen unbedingt zu beachten? Wie wappnet man sich auf die möglichen Reaktionen von Unternehmens- und Internet-Nutzerseite?

Christian Engeli:
Ganz ehrlich: Wir haben doch auch keine Ahnung. Die einzige Weisheit, die ich hier zum besten geben kann: Auch hinter einer witzigen, satirischen Kampagne müssen Inhalte stehen. Wir haben viel in Recherchearbeit invertiert, uns auf die Antworten von Nespresso vorbereitet. Ist man inhaltlich nicht fit genug, kann das schnell auf einem zurückschlagen.

Wenn Sie Youtube-Videoclips und Facebook-Kommentare auf Unternehmensseiten im Rahmen einer Protestaktion gegeneinander antreten lassen – wer würde ihrer Meinung nach mehr Social Media Macht haben?

Christian Engeli:
Ich bin nicht sicher, ob ich die Frage verstehe. Meinen Sie, was mehr bringt: Facebook oder Youtube? Wir trennen das nicht. Es gibt nicht einfach einen Kanal, die verschiedenen Plattformen ergänzen sich gegenseitig.

Glauben Sie nicht, das große Konzerne wie Nestlé aus diesen Aktionen „schnell lernen“ und zukünftig massivere Gegenmaßnahmen starten, die solche Erfolge nicht mehr möglich machen?

Christian Engeli:
Ich biete den Konzernen gerne Weiterbildungsseminare an. Ernsthaft: Natürlich werden sie lernen. Aber dass sich die Machtverhältnisse in Social Media verschieben, daran werden sie nichts ändern können.

Bitte ergänzen Sie den folgenden Satz: Internet ohne Social Media wäre wie eine Protestaktion ohne ...

Christian Engeli:
Öh ... ohne Aktion (?)

Die Fragen an Christian Engeli stellte Oliver Hein-Behrens.