WDR Computer-Nacht-Interview: "Computer denken gar nicht daran, wie Menschen zu denken"

Interview

Fünf Jahrzehnte Computer-Geschichte und ein volles Archiv dazu. Was liegt näher, als daraus eine "WDR Computer-Nacht" zu machen? medienmilch.de sprach mit Mike Schaefer, zusammen mit Vincenzo Tino verantwortlich für die außergewöhnliche Film-Collage.

Wie kamen Sie zu der Idee einer WDR Computer-Nacht? 

Schaefer: Wir hatten zunächst überlegt, eine lange Nacht zum WDR Computer-Club zu machen, der in diesem Jahr 30 Jahre alt geworden wäre. Aber bei der Durchsicht des Archiv-Materials zum Thema Computer entdeckten wir so viele schöne Filme auch außerhalb des Computer-Clubs (und besonders schöne Filme auch aus den 60er und 70er Jahren), dass wir das Konzept erweiterten: Ein Rückblick auf 5 Jahrzehnte Computer-Geschichte, erzählt mit Filmen aus dem WDR-Archiv. 

Wie viele Stunden Material wurden gesichtet? Wie lange hat die Produktion gedauert? 

Schaefer: Wir haben uns zunächst über die sehr detaillierten schriftlichen Aufzeichnungen zu den Archivfilmen mit Unterstützung der WDR Archiv-Experten einen Überblick verschafft. Das ist notwendig, da Computer ja inzwischen in fast allen Lebensbereichen eine wichtige Rolle spielen und Filmbeiträge mit Computern inzwischen massenhaft das Archiv füllen. Aus dieser Liste haben wir dann eine Auswahl getroffen und ca. 300 Stunden Filmmaterial gesichtet, darunter auch viele Kurzbeiträge. Gesichtet heißt in dem Falle aber nicht nur überflogen, sondern detailliert ausgewertet, denn wir wollten die Filme nicht stur aneinanderhängen, sondern sie sollten in 8 Kapiteln spannende größere Geschichten über 5 Jahrzehnte erzählen. Letztlich haben dann rund 100 Filme, oft in gekürzter Form, in der WDR Computer-Nacht ihren Platz gefunden. Die Produktion dauerte 15 Wochen. 

Was hat Sie bei der Materialsichtung zur Filmcollage am meisten beindruckt? Was war am skurrilsten? 

Schaefer: Am meisten überrascht und beeindruckt war ich über die filmische und inhaltliche Qualität der frühen Filme aus den 60er  bis 80er Jahren. Die wurden damals ja noch auf analogem Filmmaterial gedreht, so dass die Bild- und Tonqualität auch heute noch hervorragend ist, das bietet „Zeitreise“ pur.  Auch wenn da der Zeitgeist oft deutlich spürbar ist, ist es ungeheuer aufregend, mitzuerleben, dass die Menschen vor 50 oder 40 Jahren eigentlich sehr ähnliche Fragen und Gefühle gegenüber Computer haben wie wir heute: Was können Computer für tolle Sachen? Was kann ich damit tolles machen? Computer und Mensch – wer kontrolliert wen? Gibt es künstliche Intelligenz und inwieweit ist sie wünschenswert?  Am „skurrilsten“ ist sicher die Sendung „Boulevard Bio“, wo Alfred Biolek -  aber als Moderator gar nicht skurril, sondern ganz großartig - 1993 unter dem Stichwort „Fernwärme“ zwei Models in Cybersex-Anzügen vorstellt, die sich aus zwei verschiedenen Städten via ISDN Kabeln erotisch stimulieren konnten... 

Wer hat den nun den Computer eigentlich erfunden? Zuse oder IBM? Warum gab es überhaupt den Streit? 

Schaefer: Ganz klar Konrad Zuse im Jahr 1941 mit seinem Z3, zwar mit Relaistechnik und noch nicht elektronisch, aber unzweifelhaft der erste programmierbare Computer, das ist in der Fachwelt auch heute unstrittig.  Streit gab es „nur“ vor den Patentgerichten, bei denen Konrad Zuse dann leider unterlag. Wo es um viel Geld geht, setzt sich nicht immer der erste Erfinder durch... 

90 Prozent der digitalen Daten entstanden erst in den letzten zwei Jahren. Ertrinken wir bald in in "Big Data?" 

Schaefer: Wenn Sie Archivare fragen, ist deren Problem eher, dass diese ganzen Daten alle verloren gehen, weil die alten Speichermedien sich durch den technischen Fortschritt dauernd in „Elektromüll“ verwandeln. Wie speichert man also am besten dauerhaft die wichtigsten E-Mails von Angela Merkel? Ausgedruckt? Auf  DVD? Oder USB Stick? ;-) Wenn Sie aber jemand bei Facebook oder Google fragen, dann sehen die in „Big Data“ nur „Big Money“ – die können gar nicht genug Daten kriegen und haben die Technologie zur minutiösen Sortierung und Auswertung selbst der größten Datenmengen ständig up-to-date.  

Oft stimmen Science Fiction der Vergangenheit und Realität der Gegenwart nicht überein. Wo trifft das nicht zu? 

Schaefer: Ich hätte fast gesagt: Bei Computern! Bei Raumschiff Orion gab es ein fantastisches Bild-Telefon, da kommt Skype noch nicht ganz ran, aber schon ganz gut. Bei Raumschiff Enterprise und bei Stanley Kubricks „2001“ können die Menschen fantastisch mit Computern reden – geht auch bald in echt! Und die Roboter werden in der Realität auch immer besser. Ob es Science Fiction-Geschichten gibt, wo jemand seine Party-Bilder ins Internet stellt und deshalb keinen Job bekommt, kann ich nicht sagen. Dass Computer tatsächlich über das Netz in naher Zukunft so viele Daten von menschlichem Alltagsverhalten gespeichert haben, dass sie das Sozialverhalten von Individuen analysieren können – das haben Science Fiction Autoren vorhergesehen... 

Künstliche Intelligenz - KI - Was werden die nächsten Jahre bringen? Werden wir bald intelligente "Stellvertreter" haben? 

Schaefer: Das Phänomen „Künstliche Intelligenz“ ist erst mal überraschenderweise eine Projektion des Menschen auf Computer-Maschinen. Der Mensch hat offenbar oft Spaß daran, in Computern ein „Gegenüber“ zu haben, und so programmiert er sie so, dass die Computer Reaktionen generieren, die seinem Benutzer „menschlich“ erscheinen. Wir haben in unserer Sendung gleich mehrere Beiträge eingeschnitten, die genau das dokumentieren: Besonders bei Computer-Spielen ist die Programmierung von Elementen, die beim Spieler die Illusion erzeugen, die Charaktere eines Spiels reagierten „intelligent“, ganz oben auf der Liste der Pflichtaufgaben.  Interessanterweise reichen bei Robotern oft große Augen, eine nette Stimme, und eine handvoll halbwegs beherrschter Bewegungen aus, um bei uns Sympathie hervorzurufen und das Gefühl „Da ist jemand!“ In der Computer-Nacht zeigen wir  den  japanischen Einkaufsassistenten „Robovie“ – eine Kundin sagt nach einer Einkaufstour im Supermarkt mit ihm:  „Das macht mehr Spaß, als alleine einkaufen zu gehen.“ Ich fürchte, dieser Trend ist nicht aufzuhalten.  Der „Wissen-macht-Ah“ Moderator Ralph Caspers sagt in unserer Sendung: Man sollte schon mal über Haftpflichtversicherungen für Roboter nachdenken. Ansonsten: Computer denken gar nicht daran, wie Menschen zu denken (die selbst noch gar nicht wissen, wie sie denken). Sie denken anders. Zum Beispiel: Dass Computer tatsächlich über das Netz in naher Zukunft so viele Daten von menschlichem Alltagsverhalten gespeichert haben, dass sie das Sozialverhalten von Individuen anders analysieren können, als Menschen das jemals werden tun können – das haben Science Fiction Autoren vorhergesehen...aber das habe ich ja schon mal fast genauso weiter oben gesagt...;-) 

Das Interview mit Mike Schaefer führte Oliver Hein-Behrens. 

Die WDR Computer-Nacht startet am Freitag, 5. April, um 0:00 Uhr und endet am Samstag, 6. April, um 4:00 Uhr.