Gastartikel: Der Second Screen lebt

Kommentar

Als in den letzten Wochen die Social TV-Anbieter TunedIn und Zapitano in den Konkurs schlitterten, sorgte das in der hiesigen Second Screen Landschaft für Ernüchterung. Zweifler der ersten Stunde fühlen sich bestätigt und erklären den Hype um den Second Screen für beendet. Doch das Phänomen der parallelen Nutzung von Smartphones oder Tablets während des Fernsehens lässt sich nicht auf Social TV reduzieren.

Wie viele Bildschirme braucht der Mensch?

Spielfilme können noch so spannend, TV-Shows übelst unterhaltsam sein, den reflexhaften Blick auf das Smartphone können sie trotzdem nicht verhindern. Spätestens in der Werbepause wird der vom mobilen Gerät ausgehende Sog unausweichlich - ein nur schwer zu erklärendes Phänomen. Weil jedes unerklärbare Phänomen wenigstens einer geheimnisvollen Bezeichnung bedarf, nannte man es "Second Screen Nutzung", da hier ja zum angeblich ersten, dem TV-Bildschirm, nun plötzlich ein mobiler zweiter hinzukam. Kaum war der Begriff unter die Leute gebracht, fühlten sich die ersten Spezialisten aufgerufen, das "Phänomen" infrage zu stellen. Viele hatten schon Jahre zuvor das Ende des Fernsehens verkündet und sahen in Second Screen Szenarien allenfalls lebensverlängernde, aber keine lebenserhaltenden Maßnahmen.

Der TV-Konsum verändert sich

So ganz unrecht haben die Kritiker nicht. Es war absehbar, dass sich das Fernsehverhalten verändern würde. Schon heute entsagen viele TV-Konsumenten dem Zwang zum Echtzeitkucken und streamen die für sie passenden Sendungen zu für sie passenden Zeiten aus den Mediatheken der TV-Sender und Video-On-Demand Anbieter. Für Social TV-Modelle ist diese Entwicklung tödlich, weil sie von der Interaktivität der Mitglieder zum Zeitpunkt der Ausstrahlung leben. Und die fällt gering aus, wenn Nutzer die selbe Sendung zu unterschiedlichen Zeiten sehen. Für die oft zitierten Ausnahmen wie sportliche Großereignisse und Live-Events genügt aber oftmals der Funktionsumfang bestehender Social Networks um gemeinsam zu jubeln oder meckern. Warum also eine eigene App laden?

Einige Investoren ließen es sich dennoch nicht nehmen und ermöglichten so manchem Social TV-Start Up die Entwicklung schicker aber eben nur mäßig erfolgreicher Apps. Andere, wie wywy, besannen sich ihrer technologischen Stärke und veränderten ihr Geschäftsmodell grundlegend in Richtung B2B und Werbewirtschaft. Unterm Strich muss man aber wohl oder übel konstatieren: Rein auf Social TV basierende Geschäftsmodelle können keine ausreichende Teilnehmerbasis generieren.

 

 

Der Second Screen ist eine Kaufmaschine


Ist Second Screen also tot? Mitnichten! Second Screen ist mehr als nur Social TV, worauf es so oft reduziert wird. Hinter dem Trendbegriff Second Screen stehen keine völlig neuen Dienste, sondern Angebote, die sich im Web schon längst etabliert haben. Wer einen Film sieht und Infos zu Drehorten oder Schauspielern haben möchte, wird die selben Quellen befragen wie zu Zeiten, als das Smartphone oder Tablet noch nicht griffbereit neben einem am Sofa lag. Wer vom Kleid der Hauptdarstellerin angefixt ist, wird, so wie früher, den Onlinehändler seiner Wahl ansteuern und erwarten, dass jener eine Mobile optimierte Website betreibt. Das wesentlich Neue und gleichzeitig Spannende an der Second Screen Nutzung ist die Unmittelbarkeit, mit der die Nutzer auf Impulse reagieren, die durch TV ausgelöst werden. Um den Heiligen Kral im Second Screen Bereich zu finden wird man darüber nachdenken müssen, wie man den Übergang vom emotionalen Trigger im TV hin zur Conversion am zweiten Bildschirm am smartesten gestalten kann. Und zwar nicht nur technisch, sondern in erste Linie aus der Dramaturgie der Nutzung heraus. Man stelle sich einmal vor, ohne weiteres Zutun wüsste das Smartphone, welchen Film man gerade sieht und wo man das rote Kleid, das die Hauptdarstellerin trägt, kaufen kann. Oder wie die traumhafte Insel heißt, auf der die Szene gedreht wurde, und wie man am günstigsten dort hin kommt. Alles ist so aufbereitet, dass man nur noch den Kaufen- oder Buchen-Button drücken muss.

Am besten aufgestellt in Sachen Second Screen Commerce hat sich da wohl wieder einmal Amazon. Das Unternehmen verfügt mit seiner Filmdatenbank IMDb über einen gewaltigen Datenschatz zu TV- und Filmproduktionen und muss diesen nur mit seinen Produktdaten verknüpfen. Spätestens seit der Präsentation des Amazon Smartphones kennt man auch Firefly - eine App, die unbemerkt registriert, welchen Film oder Serie ihr Nutzer kuckt, um ihm passende Produkte zum Kauf anbieten zu können.

Apple könnte mit iTunes Extras einen ähnlichen Ansatz verfolgen und Apps zeigen, die zum Film passende Produkte und Dienstleistungen anbieten - als Bonus-Material, sozusagen. Die Nutzer könnten dabei wählen, ob sie die Zusatzinfos parallel zum Film am Second Screen oder im Anschluss über die AppleTV sehen möchten.Wohin auch immer die Entwicklung gehen wird, die Großen der Branche werden nichts unversucht lassen, jegliches Potenzial voll auszuschöpfen. Und das wird dem Second Screen eine Dynamik verleihen, von der wir heute nur träumen können.

Über den Autor:
Roland Weinzierl ist Gründer und Geschäftsführer von wozdaz.tv. Das Unternehmen berät Kunden bei der Entwicklung von Second Screen Konzepten, entwickelt mobile Anwendungen und betreibt mit wozdaz.com einen eigenen Second Screen Service zur Vermarktung von Drehorten aus TV und Spielfilm als Reiseziel.