"Uns reicht es!" - Nur wehren reicht nicht ...

Kommentar

Der Ton zwischen Journalisten und Medienkonsumenten wird rauer. Neuestes Beispiel: Der offene Brief in eigener Sache von Arno Schupp, Ressortleiter Berlin/Brandenburg der Berliner Zeitung.

Schupp kündigt darin online an, dass die Berliner Zeitung ab sofort juristisch gegen alle vorgeht, "die unsere Redakteure bedrohen und diffamieren". Eine erste konkrete Strafanzeige sei gestellt worden. 

Konkret gehe es um die Berichterstattung der Zeitung zum Fall des 13-jährigen Mädchens aus Marzahn, der auch außenpolitisch für große Aufmerksamkeit gesorgt hat. Laut Schupp widerspreche die Polizei Behauptungen, dass das Mädchen vergewaltigt worden sei. Schupp weiter: "Für ein klares Urteil gibt es nicht genug Fakten. Darüber hat unser Redakteur (...) berichtet."

Tatsächlich heißt es in einer Pressemeldung der Berliner Polizei vom 18.1.2016: "Das Mädchen, das Anfang letzter Woche in Marzahn-Hellersdorf kurzfristig als vermisst gemeldet worden war, ist entgegen vieler Berichterstattungen und Gerüchte in sozialen Netzwerken kein Opfer von Entführern gewesen. Die Ermittlungen des Fachkommissariats des Landeskriminalamtes ergaben zudem, dass die 13-Jährige, die am Dienstag wieder aufgetaucht war, auch nicht vergewaltigt wurde. Um die Persönlichkeitsrechte des Kindes und seiner Familie zu wahren, werden keine näheren Angaben zu dem Thema von der Polizei Berlin nach außen getragen."

Trotzdem wurde der Journalist, der darüber berichtet hatte, bei Facebook mit Hass-Kommentaren belegt wie "Erweise Deutschland einen Dienst und scheide freiwillig aus dem Leben." Schupp dazu: "Es darf nicht sein, dass einige Menschen im Internet mit Verleumdungen, Drohungen und Beleidigungen die Meinungs- und Deutungshohheit erlangen."

Wer einen Blick auf die sozialen Medien wirft, wird aus journalistischer Sicht Verständnis für die Vorgehensweise der Berliner Zeitung haben. Die Zunahme an unmöglichen und teilweise eindeutig rechtsradikalen Hasskommentaren hat in erschreckendem Maße zugenommen - und das muss vor allem bei konkreten Verletzungen des Persönlichkeitsrechtes kein Medium, kein Mensch, kein Redakteur hinnehmen.

Journalisten und Medien müssen aber auch akzeptieren, dass die aktuelle innenpolitische Lage mehr Sensibilität und Professionalität von Medienmachern abverlangt. Nachhaken, nachfragen und objektiv-investigativ recherchieren ist daher keine journalistische Kür, sondern Pflicht, um Propaganda als das zu kennzeichnen, was sie ist: Manipulation. Und um Wahrheiten wie das Versagen der Kölner Polizei in der Silvesternacht an- und auszusprechen - bevor soziale Medien wie in diesem Fall durch Fehler der polizeilichen Pressestellen und Fehler der Medien die Meinungshoheit übernehmen können. 

Dafür brauchen Journalisten wieder mehr Zeit für Recherche, mehr Zeit, um die Informationen und Fakten zu erhalten und zu bewerten. Das kann aber nur klappen, wenn Herausgeber und andere Verantwortliche den geistigen Rechenschieber hier einmal ganz bewusst beiseite legen und journalistische Qualität wieder als oberste Zielsetzung akzeptieren - auch wenn es mal länger dauern sollte.  

Denn so wichtig und richtig dieser offene Brief der Berliner Zeitung auch ist: Nur wehren wird auf Dauer nicht reichen ...

ohb