Gastartikel: Google+ - Die neue Plattform für Werbung und Marketing oder Community für Nerds und Geeks?

Kommentar

Derzeit hält man sich bei Google über die Werbemöglichkeiten auf der sich noch in der Beta-Phase befindlichen Plattform Google+ bedeckt. Ob und wann Google mit der Vermarktung seines Netzwerks starten wird, ist ungewiss.

Momentan liegt der Fokus noch auf der Verbesserung der Usability und der Funktionalitäten des Netzwerks, was vor dem Hintergrund gescheiterter Experimente wie Buzz absolut Sinn macht. Über die tatsächliche Ausgestaltung von Monetarisierungsstrategien und Möglichkeiten für Unternehmen auf Google+ aktiv zu werden, kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Dennoch gibt es einige Anzeichen, die im Folgenden analysiert werden sollen.

Lasst die Spiele beginnen - auf was die aktuellen Entwicklungen bei Google+ hindeuten könnten...

Schauen wir uns zunächst die "klassische" Displaywerbung an. Die Anbindung von Tools wie Google Adwords, Google Analytics und natürlich vor allem Google Adsense ist vor dem Hintergrund einer Vermarktung des Netzwerks mehr als nur wahrscheinlich. Christian Oestlien äußerte sich auf seinem Google+-Profil bereits zu diesem Thema, ohne jedoch zu konkret zu werden. Googles Kompetenzen im Bereich Bannerwerbung und Video-Ads sind groß. Warum sollte dieses Potenzial also verschenkt werden? Schon jetzt ist Google+ in Googles Social Search integriert und auch die Integration der althergebrachten Google-Suche ist via Chrom Plug-In bei Google+ möglich.

Zukünftig wird also ein Markenauftritt auf Google+ wahrscheinlich auch Auswirkungen auf den Page Rank haben. So hat sich auch das optische Erscheinungsbild der Google Suche in den letzten Monaten erkennbar verändert. Von einem neuen Feature berichtet aboutgplus.de. Dieses integriert zukünftig Empfehlungen von Freunden in die Suchergebnisse, wenn man ins Google-Netzwerk eingeloggt ist und die Google-Suche nutzt. Cathy Halligan hat für mashable die Anforderungen an SEO, die User-Generated Content schon jetzt mit sich bringt, beschrieben. Mit der Öffnung von Google+ für Unternehmen wird sich diese Situation sicher weiter verschärfen. Ein weiteres Indiz dafür ist, dass man jetzt über den +1-Button, wie bei Facebooks Like-Button, Inhalte im Google+-Stream teilen und kommentieren kann.

In Sachen Data Mining ist Google anderen einen deutlichen Schritt voraus. Selbst, wenn das unter dem Namen DDP laufende Datenbank-Projekt von einigen Seiten kritisiert wird (vgl. hierzu suedeutsche.de vom 14.07.2011), besitzt das Unternehmen bereits jetzt eine große Datenbasis, die zielgerichtete Werbe- und Marketingmaßnahmen ermöglicht. Anders als bei Facebook sind es neben Daten, die Nutzer freigeben oder durch Klicken des Like-Buttons erzeugen, weitreichende Daten aus dem Netzwerk und dem Userverhalten darüber hinaus.

Auch vor dem Hintergrund der bevorstehenden Übernahme des Yield-Optimierers Admeld würde dies einen besonderen Service für Werbetreibende ermöglichen (über die Möglichkeiten, die in "Big Data" liegen, gibt diese Infographic von Get Satisfaction Aufschluss). Dies hätte nicht zuletzt auch Einfluss auf die Verbesserung der User-Experience.

Entscheidend für den Erfolg oder Nicht-Erfolg von Google+ bei Werbetreibenden werden letzten Endes auch der Funktionsumfang und das Design der Brand-Pages sein. Diese sollen sich lt. Stefan Keuchel (Corporate Communications & Public Affairs Manager bei Google, zitiert nach W&V 33/2011; S. 55) stärker von normalen Profilseiten abheben. Als sicher gilt in Fachkreisen die Möglichkeit, lokale Seiten in eine übergeordnete nationale/internationale Unternehmensseite einbinden zu können, was letzten Endes Kunden- beziehungsweise Fansegmente bündeln und Streuverluste verringern würde. Zudem würde dies Google die Möglichkeit bieten, die Services Google Offers und Google Wallet sowie Latitude, beziehungsweise Google Places stärker in das soziale Netzwerk zu integrieren und auch die mobile Nutzung von Google+ voranzutreiben. Es ist davon auszugehen, dass Google die Funktion bieten wird, auf den Markenprofilen verschiedene Nutzergruppen wie Mitarbeiter, Vorstand, Kunden, Markenbotschafter etc. einzusehen. Da Google+ mehr auf das Teilen von Inhalten als auf interpersonale Kommunikation ausgelegt ist, ist dies ein interessantes Feature, das Kunden, die Möglichkeit geben wird, genau die Informationen zu erhalten, die sie von einem Unternehmen benötigen. Wie eine ausgestaltete Brand-Page aussehen könnte, hat Sean Percival auf seinem Blog skizziert. Somit würde Google+ sowohl als B2B, als auch als B2C-Schnittstelle fungieren. Google+ integriert zudem bereits erste Profileinstellungen, wie wir sie von Linkedin oder Xing kennen.

Googles Social Network kann als eine Art Schnittstelle für die verschiedenen Services aus dem Hause Google verstanden werden. Während Picasa bereits in das Netzwerk integriert ist, werden weitere Dienste aus dem Hause Google schon bald folgen. Konzepter werden diese schnell in ihre Kampagnen einbauen. Erst nach und nach gibt Google allerdings die APIs frei, weshalb noch nicht gesagt werden kann, wie Apps und andere Features letztlich aussehen werden. Dass Google sich wohl mit eigenen Vermarktungsmechanismen noch Zeit lassen wird, zeigt unter anderem die Tatsache, dass Google sehr großen Wert auf ein ausgereiftes Endprodukt legt. Im Vergleich zum zweiten Quartal 2010 stieg das Gesamtinvestment des Internetkonzerns lt. Wallstreet Online 2011 um 39% auf 6,15 Mrd. US-$. Das Unternehmen ist aber aufgrund eines ebenfalls guten wirtschaftlichen Ergebnisses (32% Umsatzsteigerung im Vergleich zum Vorjahr auf 9.03 Mrd. US-$) nicht darauf angewiesen, Google+ schnellstmöglich zur Cash-Cow zu machen.

Mit der Übernahme von Motorola und mit AdMob im Hintergrund setzt Google zudem auf die mobile Zukunft. Dass das Thema Mobile Chefsache für Google ist, hat kürzlich Karim Temsamani in einem W&V-Interview erklärt (W&V 27/2011, S. 52f). Da jedes Android-Gerät einen Google-Account benötigt wird Google diesen Bereich sicher weiter ausbauen und festigen. Baut Google dabei auch den Dienst "Huddle" aus, erhält Google+, dem oft ein starker mobiler Charakter nachgesagt wird, eine weitere Interaktionskomponente, die auch für Marken und Unternehmen interessant sein könnte. An dieser Stelle geht es also vor allem um Customer Service Care und Customer Relationship Management.

Dass die bisherigen Google+-Features durchaus interessant sind, um sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, zeigte bspw. Daria Musk, als sie begann, Konzerte via Hang Out, den in Google+ integrierten Video-Chat, zu übertragen. Hier könnte folglich ein Tor zu Unternehmen und somit ein Marketingtool entstehen, das unter anderem der Verbesserung des Customer Relationship Managements dient - besonders aktive Nutzer könnten so beispielsweise zu Fokus- und Diskussionsrunden eingeladen werden.

Nach und nach treten auch Plattformen wie livestream.com oder vor allem hangoutparty.com auf den Plan die Hang Outs als Events promoten und streamen. Wie nahtlos sich Google-Services verbinden lassen zeigt zudem die Möglichkeit, Hang Outs direkt aus Youtube heraus zu starten. Eine entscheidende Frage für Werbetreibende wird jedoch sein, wie sich die Interaktion, respektive die Interaktionsmöglichkeiten und die Kommunikation auf der Plattform entwickeln. Bisher zeichnet sich ab, dass die User eher innerhalb ihrer Circles posten als öffentlich, erklärte Bradley Horowitz von Google.

... und welche Rolle Facebook dabei spielt.

Der Hauptunterschied zwischen Facebook und Google+ liegt, wie vielfach diskutiert, in der Art der Kommunikation. Ist Google+ mehr auf die Suche beziehungsweise Vermittlung von Information an n-Kontakte ausgerichtet, geht es bei Facebook vor allem um direkte, beidseitige Kontakte, also reziproke Kommunikation und darum "Fan" von Seiten zu werden. Ob dies auch Auswirkungen darauf haben wird, wie Unternehmen und User interagieren werden, kann noch nicht beantwortet werden. Es ist aber durchaus möglich, dass es neben dem Dialog mit dem "normalen Kunden" durch die Funktionalität der Circles und Hang Outs auch einen fachlichen Dialog geben wird, wie er normalerweise auf Blogs stattfindet.

Facebook bietet keine klassische Displaywerbung an, dafür aber bspw. sponsored stories, was den sozialen Charakter des Netzwerks auch bei den Werbemöglichkeiten unterstreicht und facebook nur wenig werblich wirken lässt. Hinzu kommen verschiedene Formen von Bild-Text-Anzeigen und die Integration des "Gefällt mir"-Buttons. Das Anlegen eines Profils ist kostenlos, wobei aber das Promoten des Profils innerhalb des Netzwerks um Fans zu gewinnen eine wichtige Einnahmequelle für Facebook ist. Wie Google dieses Bewerben der Seiten lösen wird oder ob ein Pricing für Seiten eingeführt wird, ist noch unklar, wird sich aber in den nächste Wochen klären.

Verschiedene Tabs in der Sidebar ermöglichen es den Marken bei Facebook, ihr Profil mit diversen Funktionen und Aktionen anzufüttern. Bei Google+ ist von einer ähnlichen Ausrichtung auszugehen. Sobald Google die Brand-Pages öffnet, werden beide Plattformen ein ähnliches Tool für Unternehmen besitzen, um sich darzustellen.

Betrachtet man Google+ auf einer Meta-Ebene wirkt das Netzwerk, als wolle es die besten Features von Tumblr, Facebook aber auch Twitter verbinden. Allerdings ist noch offen, wie sich das Netzwerk entwickeln wird, nicht zuletzt weil Facebook auf die durch Google+ vorangetriebenen Marktentwicklungen reagiert (bspw. mit der vollkommenen Überarbeitung ihres Geotagging-Dienstes Facebook places oder der neuen Open Graph Search Engine) und sich seit dem Google+-Launch rapide und merklich verändert hat (beginnend bei den Privatsphäre-Einstellungen bis hin zum neuen Newsfeed mit Friend-Filter).

Ein weiterer Vorteil von Facebook ist derzeit, dass es mit "facebook connect" einen sehr userfreundlichen Service bietet und nicht als geschlossenes System agiert. Blogs, Twitter, Social Bookimarking und andere Services lassen sich einfach mit Facebook verbinden, was vielen Nutzern eine bessere Usability gegenüber Google+ bietet. Google+ hat all diese Möglichkeiten nur im eigenen Kosmos (bspw. die +1-Linksammlung im Profil als Googles Form des Social Bookmarkings oder Postings, die unabhängig von der Zeichenzahl sind, als eine Art Blog). Aber wer ist bereit für ein neues Netzwerk, seine Community, die er sich auf unabhängigen Plattformen aufgebaut hat, zu verlassen?

Wie wird es weitergehen?

Die rapiden Entwicklungen der letzten Wochen sind beeindruckend. Eines vorneweg: Abgesehen davon, dass die Möglichkeit noch gar nicht geboten ist, ist Google+ für den Moment (noch) keine relevante Werbeplattform, da eine kritische Masse an Nutzern noch nicht erreicht und zu wenig über den Umgang mit dem Netzwerk bekannt ist. Die skizzierten Möglichkeiten, aber natürlich auch Googles Marktmacht, werden dies sicher ändern. Insofern ist auch, nebst anderen, Googles Browser Chrome eine nicht zu unterschätzende Größe. Plug-Ins können nämlich den Mehrwert von Social Networks erhöhen, wie unter anderem das Tool "+music" beweist, mit dem sich Musik direkt von Künstlerseiten auf Facebook abspielen lässt. Noch ist es verhältnismäßig still auf Google+, wir dürfen aber nicht vergessen, dass es sich trotz der 26 Mio. Mitglieder noch immer in einer Beta-Phase befindet. Letzten Endes wird es aber wohl nicht um die Frage gehen, ob Google+ den Platzhirsch Facebook verdrängt, sondern darum wie die beiden Plattformen koexistieren können, wie sich Marktanteile verteilen und sich die Social Media-Welt dabei verändern wird. Vor dem Hintergrund des gerne propagierten SoLoMo-Kunden werden dabei die Themen "Social Commerce" und "Mobile" eine tragende Rolle spielen. Dies zeigt auch die grundlegende Überarbeitung von Facebook Mobile-App. Diese hat von ihren Machern den Versionsnamen 3.5 erhalten. Die Bezeichnung 4.0 wäre aber durchaus gerechtfertigt gewesen.

In die gerne geführten Diskussion über den Kampf Facebook vs. Google, beziehungsweise Twitter vs. Google, sehe ich inzwischen einen weiteren Aspekt einfließen, der meines Erachtens ebenfalls die nächsten wichtigen Entwicklungen vorantreiben wird. Ein tatsächlicher Konkurrent ist Google nämlich für Businessplattformen wie Linkedin oder Xing. Auf Facebook entstehen "Netzwerke im Netzwerk", wie es BranchOut und BeKnown sind. Währendesse setzt Google+, wie weiter oben erwähnt, ebenfalls auf Business-Features. Wenn die beiden großen Netzwerke die Möglichkeit bieten, die Art der Kommunikation (Privat vs. Small Talk vs. Geschäftlich) intelligent und einfach zu steuern, werden es reine Business-Netzwerke schwer haben, wenn sie nicht besondere Mehrwerte wie bspw. Webinare oder Bewerber-Tools anbieten.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Google+ gemacht und welche Entwicklungen sehen Sie für die nahe Zukunft? Wird Google+ ein Platz für die Internetelite bleiben oder werden Werbetreibende schon bald nicht mehr an Google+ vorbei kommen? Ist die Habituation im Umgang mit Facebook tatsächlich so groß und die Ausrichtung so verschieden, dass sich die Frage, ob Google+ zum direkten Konkurrenten werden kann, gar nicht stellt?

Ich freue mich auf spannende Diskussionen zu meinem Beitrag auf Google+. Circle me: Wir sehen uns in meinem Stream.

Alexander Paulski, Stratege bei Torben, Lucie und die gelbe Gefahr GmbH.