Neckermanns digitale Zukunft

Kommentar

Drei Momentaufnahmen: Als ich Student war, lernte ich Neckermann kennen und lieben. In der telefonischen Bestellannahme (nein, es gab noch kein externes Call-Center), in der mindestens 20 Studenten neben den Festangestellten arbeiteten, ging es rund und ich war als Aushilfe dabei.

Es klingelte und klingelte. Eine große Anzeige über den Köpfen der Aushilfen und Mitarbeiter zeigte dabei an, wie viele Kunden sich aktuell in der Warteschleife befanden. Diese Zahl konnte zu mancher Stunde locker auf 50 und mehr Personen springen. Es ging zu wie an einer florierenden Börse. Das war 1986, vor langer langer Zeit.

Über 10 Jahre später, ich war inzwischen Leiter einer Online-Abteilung in einer Agentur,  fragte mich ein damaliger Kollege, ob ich nicht Lust hätte, 99 Cent-Aktien eines neuen US-Unternehmens aus dem Bereich des Online-Handel zu kaufen. Es hätte seiner Meinung nach großes Potential. Ich lehnte dankend ab. Zu viele Unternehmen mit guten Ideen, die Geld brauchten, gab es zu dieser Zeit. Aus heutiger Sicht ein klarer Fehler: Das junge Unternehmen hatte den einprägsamen Namen Amazon.

Heute, 2012, wieder über 10 Jahre später: Neckermann sieht die Zukunft des Versandhandels ab sofort nur noch im Internet. "Dieser Entwicklung können wir uns nicht verschließen', meinte Vorstandschef Henning Koopmann gegenüber der Presse. Gedruckte Kataloge sind ab sofort Vergangenheit. Und fast 1400 Neckermann-Mitarbeiter in Kürze ebenfalls. 

Fast 10 Milliarden Dollar Umsatz macht Amazon aktuell, Neckermann lag 2010 bei knapp über eine Milliarde Umsatz, aber um Größe geht es hier nicht. Es geht um die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt. Und hier knirscht es bei Neckermann: zu spät, zu radikal, zu taktisch kommt die Entscheidung, sich ab sofort als deutsches Amazon zu versuchen. 

So komisch es sich vielleicht zuerst anhört: Die Zukunft des Versandhandels, lieber Herr Koopmann, liegt nicht im Internet, denn dort ist sie bereits jetzt! Schon lange! Ich wünsche Neckermann aufrichtig viel Erfolg und Glück, denn das Unternehmen wird es brauchen mir dieser "neuen Strategie".

Oliver Hein-Behrens