Redaktionelle Strategien in den Zeiten der Digitalisierung?

Kommentar

Prof. Dr. Lars Rinsdorf lehrt Journalistik an der Hochschule der Medien in Stuttgart und leitet dort den Studiengang Crossmedia-Redaktion/Public Relations. Sein neues Fachbuch "Redaktionelle Strategien entwickeln" soll "Studierenden vielfältige Eindrücke von Strategiearbeit zu vermitteln" oder sie laut seinem humorvollen Vorwort zumindest "während der Lektüre von der Straße fernhalten".

Der verschärfte Wettbewerb im Internet sowie kurze Innovationszyklen fordern den Journalismus permanent heraus. Rinsdorf will in seinem 160 Seiten starkem Werk in acht Kapiteln zeigen, wie man dafür erfolgreich digitale redaktionelle Strategien entwickelt. Ein hoher Anspruch, der ihm in dieser Kurzform bei diesem schwierigen Thema zwar nicht gelingt, das Buch aber trotzdem lesenswert macht, weil es bestens in das Thema auf theoretischer Ebene einführt und zu wichtigen Gedanken anregt.

Vom Metratrend der Digitalisierung über den daraus folgenden Hyperwettbewerb bis zur daraus resultierenden Konsequenz der Kurzfristigkeit führt Rinsdorf den Leser in einen nur durch Bulletpoint-Aufzählungen und wenigen Grafiken aufgelockerten Parforceritt in das Thema ein und stellt dabei schon früh eine wichtige Kernfrage: "Wie verändert sich die gesellschaftliche Rolle von Journalismus in einer zunehmend digitalisierten Welt?" - leider ohne sie zu beantworten oder auf die kritischen Aspekte dieser Entwicklung hinzuweisen.

Auch das Programmatic Advertising und die Macht von Google und Co. die klassische Refinanzierungstruktur von Medien immer stärken ersetzen und damit auch Strategien beeinflussen, spricht er an, ohne dabei in die Tiefe zu gehen. Wichtig ist Rinsdorf der Begriff "Strategische Fitness", der etwas diffus umschreibt, dass klassische Strategien eigentlich im digitalen Kontext unbrauchbar sind, weil sie zu unflexibel, zu unagil sind. Die Lösung: Flexibilität und Agilität werden zu neuen Kernelementen der Strategie.

Auf die daraus auch resultierenden Gefahren der Beliebigkeit und Austauschbarkeit im strategischen Kontext geht er leider nicht ein. Eine Vision, die eine Strategie definiert, die wiederum höchste Flexibilität garantiert, ist zwar fazinierend, aber ist sie überhaupt noch eine Strategie? Führen responsive Strategien nicht auch zwangsläufig zur Beliebigkeit einer Marke oder eines Produktes und kontakarieren damit viele klassische Erfolgskomponenten von Top-Marken und -Medien?

Keine Frage: Rinsdorf hat mit seinem Werk "Redaktionelle Strategien entwickeln" ein wichtiges, für viele Medienhäuser, überlebenswichtiges Thema aufgegriffen und fokussiert. Dafür gebührt ihm Lob. Aber ein wenig mehr Tiefe und 360-Grad-Analyse wären schon schön für die zweite Auflage. Und für die Digital Natives dann bitte mehr "Bildchen".

ohb

Redaktionelle Strategien entwickeln
Analyse – Geschäftsmodelle – Konzeption
von Rinsdorf, Lars
ISBN 9783825248345
UTB-Titelnummer 4834
Auflagennr. 1. Aufl. Erscheinungsjahr 2017
Originalverlag UVK
Umfang 160 S., 16 Abb.