Buchkritik: Die sieben Varianten von Fake News

Kommentar

Stephan Russ-Mohl ist Professor für Journalistik und Medienmanagement an der Università della Svizzera italiana in Lugano/Schweiz und leitet das European Journalism Observatory. Jetzt hat er das neue lesenswerte Fachbuch "Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde" zum aktuellen Thema Fake News veröffentlicht.

Bedeuten Fake News also das Ende der informierten Gesellschaft? Der Journalistik-Professor und Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl untersucht in seinem neuen Buch "Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde. Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet" diese digitale Bedrohung der Demokratie und mögliche Lösungen. Spätestens seit Pegida-Trupps auf der Straße "Lügenpresse" skandieren, wird der Glaubwürdigkeitsverlust des Journalismus öffentlich diskutiert.

Dabei verbreiten nur wenige Redaktionen absichtlich Falschinformationen. Es hat andere Gründe, weshalb wir, wie Angela Merkel konstatierte, in „postfaktischen“ Zeiten angelangt zu sein scheinen. Stephan Russ-Mohl zeigt auf, warum es sich für bestimmte Akteure lohnt, vor allem über soziale Netzwerke Falschinformationen und Konspirationstheorien zu verbreiten.

Nach seiner Analyse gibt es sieben Varianten von Fake News:

  • Satire/Parodie: keine Intension, Schaden zu verursachen, wohl aber das Potenzial, Missverständnisse auszulösen, weil Ironie nicht verstanden wird

  • Irreführende Inhalte, um ein Thema oder eine Person in Mißkredit zu bringen

  • Betrügerische Quellenangaben: Frei erfundene Inhalte, die mit der Absicht generiert werden, zu betrügen und Schaden anzurichten

  • Frei erfundene Inhalte, die mit der Absicht generiert werden, zu betrügen

  • Falsche Verknüpfungen: Überschriften, Visualisierungen oder Bildlegenden sind irreführend  („Clickbaits“)

  • Falscher Kontext: Zutreffende Informationen wird verfälscht, indem sie in einem falschen Kontext dargestellt wird

  • Manipulierter Inhalt: Zutreffende Text- oder Bildinformation wird verändert und verfälscht

Immer raffiniertere Propaganda, hochprofessionelle Public-Relations-Experten, aber auch Roboter in sozialen Netzwerken („social bots“), darüber hinaus die Algorithmen und die Echokammern von Google oder Facebook tragen laut Russ-Mohl ihren Teil dazu bei, dass Desinformation überhandnimmt. Unter diesen Bedingungen gebe es vermehrt Akteure, die aus machtpolitischen Motiven an medialer Desinformation und an einer Destabilisierung unserer Demokratie interessiert seien oder die aus kommerziellen Motiven eine solche Destabilisierung in Kauf nehmen.

Aber Russ-Mohl geht über die Risiken und Nebenwirkungen moderner Kommunikationstechnologien hinaus und schlägt Lösungsansätze vor. Der Tradition der Aufklärung verpflichtet, ist die zentrale Frage des Buches, wie sich der wachsende Einfluss der „Feinde der informierten Gesellschaft“ eindämmen lässt, darunter Populisten, Autokraten und deren Propagandatrupps. Könnte zum Beispiel eine „Allianz für die Aufklärung“ etwas bewirken, der sich seriöse Journalisten und Wissenschaftler gemeinsam anschließen? Dazu bedarf es nicht zuletzt einer realistischen Selbsteinschätzung aufseiten der Akteure. Dazu verhelfen Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie und der Verhaltensökonomie, die im Buch auf die Handelnden und den Prozess der öffentlichen Kommunikation bezogen werden.

"Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde" ist eine klare Leseempfehlung für alle, die sich umfassend und ausführlich über das Thema Digitale Medien und Manipulation informieren wollen. Es bereichert die nach wie vor spärliche Auswahl an Fachbüchern zum Themenbereich Fake News ungemein und ist eine unverzichtbare hochaktuelle Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema beschäftigen.

(Oliver Hein-Behrens)

 

Stephan Russ-Mohl
Die informierte Gesellschaft und ihre Feinde
Warum die Digitalisierung unsere Demokratie gefährdet
2017, Originalausgabe.
Hardcover, 280 Seiten.
Herbert von Halem Verlag
ISBN: 978-3-86962-274-3
€ 23,00 [D]