Netflix made in Germany – Zukunft oder Illusion?

Kommentar

Jim O’Neill von Ooyala gibt in diesem Gastartikel einen Überblick über den deutschen Milliardenmarkt des Video on Demand und sein Potenzial

RTL und die ProSiebenSat.1 Group haben dasselbe Ziel vor Augen: Beide wollen eine marktführende deutsche Video-Plattform auf die Beine stellen. Während RTL an einem videobasierten General-Interest-Portal auf Freemium-Basis feilt, setzt ProsiebenSat1 auf ein Bündnis mit Discovery und verfolgt das Ziel, den Eurosport-Player, Maxdome und 7TV in eine einzige Mediathek zu integrieren.

Durch die präzise Kenntnis des deutschen Konsumentenmarkts können beide Anbieter schon einmal den Heimvorteil für sich verbuchen – doch werden sie wirklich gegen Konkurrenten wie Netflix mit seinen über 130 Millionen Abonnenten ankommen? Wie steht es um den deutschen VoD-Markt und worin liegen die Chancen für Anbieter? Jim O’Neill, Principal Analyst bei Ooyala schätzt die Lage wie folgt ein: Laut des aktuellen Goldmedia-Reports „Pay VoD in Germany – 2018-2023 Forecast“ besitzt derzeit einer von fünf deutschen Haushalten ein Abonnement bei mindestens einer der 30 beliebtesten Video-Plattformen. Dazu zählen, neben namhaften amerikanischen Konzernen, auch das ProSiebenSat.1-Portal Maxdome, Sport-Streaming-Anbieter Eurosport und DAZN sowie der Pay-TV-Anbieter Sky.

Mit einem Anteil von 74 Prozent dominiert vor allem ein Geschäftsmodell den 1,1 Milliarden Euro schweren deutschen VoD-Markt: Subscription video on demand (SVoD), bei dem ein monatlicher oder jährlicher Pauschalpreis anfällt. Klare Vorreiter sind hier die US-Giganten Amazon Prime Video und Netflix mit Marktanteilen von 30,4 beziehungsweise 21,4 Prozent.

Bisher eher geringer Beliebtheit erfreut sich das Konzept des electronic-sell-through (EST), bei dem der Nutzer eine digitale Kopie des gewünschten Inhalts mit zeitlich unbeschränkter Nutzungsdauer erwirbt (Marktanteil von 14 Prozent). Auf transactional Video on demand (TVoD), auch bekannt als „pay per view“, entfallen sogar nur 12 Prozent, so das Ergebnis des Reports. Sowohl der Android-basierte Google Play Store als auch das Konkurrenzprodukt iTunes bieten diese beiden Formen des VoD an.

Zweifellos hängt Deutschland im Vergleich zum großen Bruder Amerika noch etwas hinterher – die Verbreitung von VoD-Diensten hierzulande gleicht dem Anteil der amerikanischen Haushalte mit Netflix-Abonnement 2011. Doch mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 14,5 Prozent ist das erst der Anfang. Ob TVoD, SVoD oder EST, bis 2019 soll beinahe jeder deutsche Haushalt durch einen VoD-Service abgedeckt sein, so Goldmedias Prognose. Bis 2023 wird sich der Umsatz mit erwarteten 2,5 Milliarden mehr als verdoppelt haben.

Das globale Interesse an Sport-Rechten ist längst entbrannt. Dass Amazon sich erst kürzlich einen Teil der Rechte an der englischen Premier League gesichert hat und Discovery knapp zwei Milliarden Dollar investiert hat, um die besten Wettkämpfe der PGA-Tour weltweit übertragen zu dürfen, sind nur zwei Indikatoren dafür. In den kommenden 24 bis 36 Monaten werden weitere Deals dieser Art erwartet.

So viel Potenzial der VoD-Markt für Anbieter auch bereithält, so schwer umkämpft ist er. Wie es die US-Anbieter bereits erfolgreich vormachen, lohnt sich die Investition in die Produktion und Lizensierung von qualitativem Original-Content, um als Gewinner aus diesem Konkurrenz-Kampf hervorzugehen. EST- und TVoD-Services können Kunden an sich binden und ihr Publikum global ausweiten, indem sie Kinofilme möglichst schnell nach Ausstrahlung auf die eigene Plattform bringen und internationale Verfügbarkeit des Contents sicherstellen.

Um gegen die fünf marktführenden Anbieter anzukommen, kommt es aber vor allem anderen auf eine solide Aufstellung im Bereich der Medienlogistik an. Zukunftsfähiges Metadaten- und Asset-Management, unterstützt durch automatisierte Workflows sowie KI sind der Schlüssel zum Erfolg. Denn im Einsatz bisher noch futuristisch anmutender Technologien liegt viel Potenzial: Bald wird der Nutzer von einer KI-Anwendung durch die Plattform navigiert werden, um ihm bei den unüberschaubaren Auswahlmöglichkeiten genau den Content bieten zu können, den er in diesem Moment sucht. Ebenso ist eine Erweiterung des Portfolios auf Virtual Reality Services denkbar.

Welche Veränderungen auch kommen mögen, feststeht, dass VoD mittlerweile auch in Deutschland zum alltäglichen Medienkonsum gehört und uns längst in seinen Bann gezogen hat.