Buchtipp: Tausend Zeilen Lüge - das System Relotius

Kommentar

Der freie Journalist und Spiegel-Redakteur Juan Moreno hatte Kummer: Er sorgte sich, dass er durch einen Gemeinschaftsartikel in den Strudel der journalistischen Lügen seines Spiegel-Kollegen Claas Relotius hineingezogen wird und sein Ruf leiden wird:

Er musste einfach recherchieren. Moreno musste dieses Buch einfach schreiben: "Tausend Zeilen Lüge - Das System Relotius und der deutsche Journalismus". Nun habe ich es in meinen Händen, ausgelesen. Ich habe viele Antworten erhalten. Wie konnte es passieren? Wie konnte ein einzelner ein ganzes Genre (das der Reportage) und eine bis dahin mit tadellosen Ruf agierende Abteilung (Spiegel-Dokumentation) komplett diskreditieren? Wieso kommt Hochmut in diesem Fall wirklich vor dem Fall? Wohin führt es, wenn nicht sein darf, was nicht sein kann? Zu diesem beispiellosen journalistischen Betrugsskandal und zu diesem wichtigen Buch.

Als Relotius das erste Mal einen festen Job beim ehemaligen Publizistik-Moralflagschiff des Landes angeboten bekommen hat, soll er laut Moreno dies abgelehnt haben mit dem hohen Zeitaufwand bei der Sorge um seine krebskranke Schwester. Einziger "Schönheitsfehler": Relotius hat gar keine Schwester! Das Motto der Spiegel-Dokumenation "Wir glauben erst mal gar nichts!"? - von Anfang an bei den tollen Texten von Relotius: Fehlanzeige!

Wie immer bei solchen außergewöhnlichen Betrugsserien kannte Relotius laut Moreno alle bekannten Fälle von Hochstablerei im Journalismus. Relotius war vieles, aber nicht dumm. "Der treue Class", so Moreno, "gab uns das, was wir wollten: dem "Spiegel", den Lesern, den Jurys." Wer viele Details dazu noch einmal nachlesen will, muss "Tausend Zeilen Lüge" lesen, denn es ist nicht weniger als eine Pflichtlektüre für alle angehenden Reporter- und Journalistengenerationen.