Interview: "Ganz ehrlich: Zum Vergnügen schaue ich kaum noch Fernsehen"

Interview

Humorvolle Fernsehkritik im Internet seit 2007 ist das Markenzeichen von Holger Kreymeier. medienmilch.de sprach exklusiv mit Kreymeier über fernsehkritik.tv, den neuen Rundfunkbeitrag und das Niveau des deutschen Fernsehprogramms.

Herr Kreymeier, trotz Grimme Online Award, dem deutschen Webvideopreis 2011 und 69 Folgen fernsehkritik.tv bitte kurz für unsere Neulinge: Was ist fernsehkritik.tv?

Holger Kreymeier:
Fernsehkritik-TV zeigt die Skurrilitäten, Abgründe und Manipulationen im Fernsehen. Wurde irgendwo falsch berichtet? Gibt es wieder eine neue niveaulose Show? Oder werden Leute abgezockt? All das zeige ich - garniert mit kleinen lustigen Clips, in denen ich mich einfach lustig mache oder besserwisserisch die Fehler anderer korrigiere.

Wie viele Besucher hat fernsehkritik.tv aktuell monatlich und wie hoch ist die durchschnittliche Verweildauer Ihrer Besucher?

Holger Kreymeier:
Die Zahl der Zuschauer des Magazins liegt bei gut 80.000 bis 100.000 pro Folge. Die Zahl der Visits liegt bei etwa 400.000. Die durchschnittliche Verweildauer weiß ich leider nicht. In unserem Forum ist allerdings viel Betrieb, das verweilen viele Menschen jeden Tag recht lang.

Das Magazin finanziert sich durch Werbeeinnahmen, Spenden, einen Onlineshop und Flattr-Buttons. Seit kurzem bieten Sie zusätzlich auch die neuen Folgen kostenpflichtig als Vorabversion an - sind Sie zufrieden mit den Ergebnissen?

Holger Kreymeier:
Ja, die Zahl der Abonnenten lag schon nach wenigen Tagen im vierstelligen Bereich. Das ist durchaus ordentlich. Viele der Zuschauer haben eingesehen, dass man ein solches Magazin, das sehr viel Recherche, Sichtung und Produktionszeit beansprucht, mit bisschen Werbung allein auf Dauer nicht zu finanzieren ist - zumal Podcast und Download-Version gar nicht mit Werbung versehen werden konnten. Natürlich gibt es aber, mit zeitlichem Abstand von zwei Tagen, trotzdem eine freie Version für alle. Mir geht es ja darum, dass möglichst viele Leute Zugang zum Magazin haben.

Sie zeigen häufig mit humorvollem Zeigefinger auf besonders niveaulose Sendungen. Haben diese - seit Ihrer Erstfolge in 2007 - prozentual zugenommen oder sehen Sie eine Trend der "Besserung"?

Holger Kreymeier:
Was das Niveau angeht, sehe ich leider keine Verbesserung. Im Gegenteil: Da die Sender immer weniger Geld zur Verfügung haben, produzieren sie immer mehr Billig-Fernsehen, das nichts kosten darf. Billige Arbeitskräfte gab es früher, wenn überhaupt, nur hinter der Kamera - inzwischen gibt es sie auch davor.

Sind Satire, Kritik und feiner Humor aus Ihrer Sicht eher ein Hemmnis für Online-Werbepartner oder spielt das keine Rolle?

Holger Kreymeier:
Ein gewisses Hemmnis besteht schon. Die Werbeindustrie möchte natürlich lieber im Umfeld von pflegeleichteren Inhalten werben. Aber andererseits macht es natürlich Eindruck, wenn man eine nennenswerte Zahl von Zuschauern, vor allem jungen Zuschauern, hat. Unser Vermarkter ist jedenfalls zufrieden mit unseren Zahlen.

Altkanzler Helmut Schmidt meinte 1978, das übermäßiger Fernsehkonsum negative Auswirkungen habe und forderte einen fernsehfreien Sonntag in Deutschland. Was fordern Sie?

Holger Kreymeier:
Ich wäre sofort dafür. Ein guter Anfang wäre zumindest der Karfreitag, der vom Fernsehen inzwischen so gut wie gar nicht mehr gewürdigt wird. Ich bin wahrlich kein gläubiger Mensch, aber das respektlose Programm an diesem Feiertag, der nun mal ein Tag der Stille sein soll, entsetzt mich jedes Jahr aufs Neue.

Vor kurzem hatten wir ein Interview mit dem bekannten GEZ-Kritiker Bernd Höcker, der den neuen pauschalen Rundfunkbeitrag ab 2012 als "noch weitaus ungerechter als die gute alte Rundfunkgebühr" einstuft. Welcher Meinung sind Sie?

Holger Kreymeier:
Die Ungerechtigkeit besteht erstmal darin, dass der Beitrag genauso hoch sein wird wie bisher. ARD und ZDF werden deutlich mehr Geld einnehmen, denn die Bandbreite der Zahler wird ja viel höher. Das Modell, das ursprünglich von Professor Paul Kirchhoff entwickelt worden war, sah ja eine Senkung des Beitrags vor, eine Abschaffung der GEZ und einen kompletten Verzicht auf Werbung und Sponsoring. Von all dem ist in dem jetzigen Modell nichts mehr zu sehen. Die GEZ wird sogar noch aufgebläht und stellt 300 neue Leute ein. Dazu kommt, dass es für kleine und mittelständische Betriebe besonders dicke kommt. Ich habe gerade einen Bericht gezeigt über einen Autohändler, der ab 2013 pro Jahr knapp 2000 Euro GEZ-Gebühren zahlen soll, obwohl die Radios in den im Verkaufsraum herumstehenden Autos gar nicht benutzt werden. Auch Behinderte werden weiter belästigt, denn komplett befreit von der GEZ-Gebühr wird nur, wer taubblind ist. Das ist alles absurd.

Frage an Sie als Kenner der Materie: Welches sind Ihre aktuellen Lieblingssendungen und -serien?

Holger Kreymeier:
Ganz ehrlich: Zum Vergnügen schaue ich kaum noch Fernsehen, mir ist die Lust ein wenig vergangen. Ich informiere mich aktuell mit Nachrichtensendungen, sehe mir gelegentlich mal eine Talkshow an, natürlich auch Politmagazine wie "Panorama". Sicher schaue ich auch mal "Wer wird Millionär?" oder "Schlag den Raab". Aber eine Lieblingssendung fällt mir nicht ein. Ich habe noch so viele DVDs und BluRays verpackt im Schrank liegen - wenn ich mich gut unterhalten will, lege ich mir lieber eine der Scheiben ein.

Wo möchten Sie mit fernsehkritik.tv 2013 stehen? Was sind Ihre Ziele?

Holger Kreymeier:
Wer weiß, was 2013 sein wird. Ich würde mich freuen, wenn Fernsehkritik-TV sich als Korrektiv des deutschen Fernsehens etabliert, so ähnlich wie Bildblog bei Printmedien. Schön wäre es, wenn ich irgendwann das Budget hätte, mir eine kleine Redaktion aufzubauen. Im Moment wuppe ich das Ding redaktionell immer noch weitgehend allein - das ist schon manchmal ein harter Brocken.

Die Fragen an Holger Kreymeier stellte Oliver Hein-Behrens.