Interview: Manche Leute sagen, wir hätten die Sendung entlarvt

Interview

Als Gregor Weichbrodt und Grischa Stanjek die Idee dazu hatten, ein TV-Finale von "Germany’s next Topmodel" in Buchform zu pressen, kamen sie sich ein bisschen so vor wie Wissenschaftler, die eine Entdeckung gemacht haben. Mittlerweile haben sie über 30 Interviews zu ihrem Medienwerk "Das ist der Tag, von dem ihr noch euern Enkelkindern erzählen werdet" gegeben. medienmilch.de wollte mehr von den beiden Studenten zu dieser Erfolgsstory wissen:

Wie beschreibt ihr euer Projekt "Das ist der Tag, von dem ihr noch euren Enkelkindern erzählen werdet" jemanden in Kurzform? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Eine Arbeit aus dem zweiten Semester im Fach Kommunikationsdesign an der HTW Berlin. Das Fach hieß “Typografie und Layout”. Die Aufgabenstellung war, ein Buch zu gestalten von mindestens 50 Seiten. Der Inhalt war uns freigestellt. Wir haben eine Fernsehshow abgetippt und zwar “Germany’s next Topmodel - Das Finale”. Das Ganze haben wir in Aufzüge und Auftritte unterteilt, Regieanweisungen hinzugefügt und in ein Reclam-ähnliches Layout gepackt. Ein Format, in dem üblicher Weise Werke von weltliterarischem Rang untergebracht sind. Es ist eine Satire oder viel lieber gefällt uns die Bezeichnung “Experiment”. 

Wie seid ihr auf die Idee zu gekommen? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Wir hatten ziemlichen Zeitdruck. Denn 30 Minuten vor der ersten Zwischenpräsentation hatten wir immer noch keine Idee für ein Buch. Wir saßen zu zweit in der Uni und warfen uns gegenseitig verschiedene Ideen an den Kopf. So ist die Überlegung entstanden, eine TV-Sendung in Buchform zu pressen - also das Medium zu wechseln, um zu gucken was passiert. Erst wollten wir eine Talk-Show aus dem Privatfernsehen inkl. Streitereien über Sex und sonstigen Themen des Fernseh-Alltags in ein Buch bringen. Spannend daran war die einfache, vulgäre und weit verbreitete Sprache. Im Austausch mit unseren Kommilitonen und unserem Dozenten Christian Hanke haben wir die Idee weiterentwickelt und sind schließlich auf Germany's Next Topmodel gekommen. Im Gegensatz zu den Talk-Shows, welche mittlerweile wieder aus den Programmen genommen werden, ein weit verbreiteteres Format. Der Marktanteil war immer noch hoch. Zu der Zeit guckten es viele im Freundeskreis. Es wurde drüber gespottet, aber dennoch gespannt mitverfolgt. 

War euch bewusst, wie schockierend dieses "Stück" wird, als ihr damit angefangen habt? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Am Anfang hatten wir sehr viel Spaß beim Abtippen. Wir kamen uns ein bisschen so vor wie Wissenschaftler, die eine Entdeckung gemacht haben. Schockierend war es für uns nicht. Wir hatten nie hohe Ansprüche an die Qualität des Textes. Im Gegenteil. Inhalt und Aussehen des Buches sollten sich widersprechen. Seltsam für uns sind nur einige Reaktionen auf dieses Buch. Manche Leute sagen, wir hätten die Sendung “entlarvt”. Dabei ist doch bekannt, mit wie viel Stumpfsinn sie auskommt. Vor dem Fernseher erträgt man es nur leichter, weil der Inhalt auch noch daherkommt mit irgendwelcher Musik und absurd-aufwendigen Effekten. Die Sendung zu gucken ist Zeitverschwendung, aber wahrscheinlich zeichnet gerade das "gutes Entertainment" aus, wenn so viele Leute trotzdem davor kleben bleiben. Schon verrückt, wenn dies der Fall sein sollte. 

Fühlt ihr euch gebauchpinselt, dass Heidi Klum euch Recht gibt und sich mit dem Sendekonzept (vorgegebene Texte) verteidigt? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Wir hatten bisher kein Feedback von Pro7, Heidi oder der Produktionsfirma erhalten. Es ist schon komisch, wenn man eine verrückte Idee in der Uni hatte und ein paar Monate später diese Frau aus dem Fernsehen anfängt darüber in einem Interview zu sprechen. Wir kennen diese Frau nicht und alles Gesprochene, dass der Eigen-PR dienlich ist, schenken wir normaler Weise nicht viel Beachtung. Ehrlich gesagt denken wir nicht, dass die Sendung eine Aufwertung erhält, wenn das (Moderations-)Konzept geändert wird. Es ging uns auch nicht nur darum, sich über Sprache der Moderatoren lustig zu machen. Das ganze Konzept der Sendung halten wir, nett ausgedrückt, für "kritisierenswert". 

Warum sollte ein Lehrer euer Werk unbedingt im Unterricht einsetzen? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Was wir in unserer Schulzeit im Deutschunterricht manchmal vermisst haben, waren Auseinandersetzungen mit Themen aus der Gegenwart. Man las sehr oft nur noch die Klassiker. Dabei ist es doch mindestens genauso interessant, wie im Moment gesprochen wird. Sprache ist sehr sehr wichtig. 

Wie war die bisherige Medienresonanz darauf? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Überwältigend. Wir haben mittlerweile über 30 Interviews gegeben, wurden von Blogs, Zeitungen (SPON, FAZ, taz, WAZ, HAZ u.v.m.), Radio-Sendern und sogar schon im Fernsehen erwähnt. Von Mode-Zeitschriften bis Deutschland-Radio Kultur war alles dabei. Wir haben hunderte Kauf-Anfragen bekommen, die wir leider nicht beantworten konnten, da uns der Verlag fehlt. Außerdem hat das Bochumer Rottstr.5-Theater das Buch inszeniert und führt es als "Chaotische Lesung" auf. Alle Vorstellungen waren in kürzester Zeit ausverkauft. 

Habt ihr vor, euer Buch nach diesem Online-Erfolg auch als Printwerk zu vermarkten, zum Beispiel über BOD? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Es haben sich einige Verlage bei uns gemeldet und ihr Interesse geäußert, das Buch zu veröffentlichen. Da die Rechtslage bei diesem Buch so ungewiss ist, konnten wir noch zu keinem Ergebnis kommen. Wir sind also weiterhin auf der Suche nach einem Verlag. Vom Selbst-Verlag sehen wir zurzeit ab, da dies für uns ein zu großes rechtliches Risiko ist. 

Habt ihr schon TV-Einladungen in Talkshows oder ähnliches? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Talkshows zum Glück noch nicht. In der Sendung ZDF.kulturpalast wurde aus dem Buch (u.a. von Günther Kaufmann) gelesen. Wahrscheinlich wird bald ein kurzes Interview im Öffentlich-Rechtlichen gesendet werden. 

Plant ihr weitere Projekte dieser Art, zum Beispiel DSDS? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Geplant ist nichts. Wir befassen uns gerade mit anderen Projekten in der Uni und sind froh auch mal Ferien zu haben. 

Was war das schönste Feedback bisher? 

Gregor Weichbrodt/Grischa Stanjek: 
Wir haben durchweg positives Feedback erhalten. Von Leuten, die viel klüger sind als wir. Von Leuten, die dieses Buch nicht nur einfach lustig finden, sondern eine tiefgreifende Kritik erkennen, wie z.B. dieser anonyme Kommentar auf einem Blog: --- Meinte Marx 1843/44 noch, das Religion das Opium des Volkes sei, so hat sich das heute gründlich geändert. Über Religionen musste man damals wie heute noch nachdenken, konnte und kann darüber diskutieren, aber die Herren Weichbrodt und Stanjek haben in kreativer Weise dargelegt, dass heutzutage in unserer Gesellschaft andere "Inhalte" das Opium für das Volk sind. Die Studenten haben eindrucksvoll aufgezeigt, wie inhaltsleer das Dasein von Millionen Menschen geworden ist, wenn sie ihre begrenzte Lebenszeit dadurch verschwenden, dass sie sich die Klum-Sendung, die Bohlen-Shows oder ähnlich Menschen verachtende Formate ansehen. Zu dieser Arbeit kann man den beiden nur gratulieren. Gesellschaftlich betrachtet, haben solche Sendungen vielleicht auch etwas von "Panem et circenses". --- 

Hier geht es zum Buch.

Das Interview mit Gregor Weichbrodt (ggor.de) und Grischa Stanjek (grischka.com) führte der medienmilch.de-TV-Kulturreferent Oliver Hein-Behrens.