Exklusiv-Interview: Porno gab dem Web Power

Interview

Ich sitze im ICC von Berlin nach Hamburg und sehe einen alten Bekannten: Dario Gibellini, Web-Urgestein und heute Producer von Finanz- und E-Commerce-Websites. Wir sprechen über alte digitale Zeiten und ich komme auf eine Idee: ein Interview mit ihm im Zug über das Internet - damals, heute, morgen. Hier ist es:

EHerr Gibellini, Sie sind schon lange in der Online-Branche dabei und damit zweifellos ein Urgestein. Was war Ihr erster bezahlter Interactive-Job?

Dario Gibellini:
1991 als Leiter der GAV-Abteilung (grafik/audio/video) bei VideoTel GmbH & Co KG. Es war die Zeit der Multimedia- CD-ROMs und so war die Idee auch nicht fern, einen multimedialen Online-Dienst aufzubauen. Die ersten Versuche liefen mit der damaligen btx-Klotzgrafik. Wir stießen schnell an die gestalterischen Grenzen. So wurden wir in den USA fündig, wo der Online-Pionier William Urban vom Onlinedienst Prodigy schon Mitte der siebziger Jahre erfolgreich mit grafischen Interfaces experimentiert hatte. Das kam den Multimedia-CD-ROM-Grafiken schon sehr nahe und William oder Bill, wie wir ihn nennen durften, wurde für das Projekt Videotel eingekauft.
Wir sollten so etwas wie AOL oder Prodigy aufbauen, die schon so etwas wie grafische Oberflächen besaßen. Für jeden Bereich (E-Commerce, Sport, Wetter etc.) gab es einen eigenen Projektmanager. Wir waren euphorisch, das würde die Welt verändern.

Gescheitert ist das ganze dann 2-3 Jahre später daran, dass die Entscheider zu dieser Zeit noch nicht so an online glaubten wie heute. Mein damaliger Boss Jan Hendrik Buettner gründete dann mit Bertelsmann einige Zeit später AOL in Deutschland. Ich ging zu Axel Springer und half dabei, ein paar Verlagsobjekte online zu bringen, diesmal aber im Internet.

Wenn Sie einen herausragenden Meilenstein in dieser Zeitspanne in der Geschichte des Internets benennen müssten: Welcher wäre es?

Dario Gibellini:
Ganz ehrlich? Pornosites! Nach einer Studie damals wurde in keinem Bereich mehr verdient. Pornosites, das muss man leider so sagen, war für die Masse ein Online-Magnet. Auch, wenn es sich komisch anhört, es stimmt: Porno gab dem Web Power.

Ab 1995 eroberte das WWW, und damit der Kommerz, langsam das Internet. Kann man das so sagen?

Dario Gibellini:
Interessant ist, dass man ganz zu Anfang glaubte und auch überall nachlesen konnte, dass das Internet immer ein freier Raum sein und bleiben würde. Da war E-Commerce noch etwas verpönt. Aber die USA zeigten den Deutschen wie immer, wo es lang zu gehen hatte, indem es mit Umsätzen lockte, die sie mit ihren Projekten erzielten. So ging die E-Commerce-Maschinerie los. Erst ging man doch sehr unbedarft in Deutschland an die Sache ran, während in den USA schon eine Flut von Cookies den Einkauf begleiteten, um dem Kunden beim nächsten Besuch besser einschätzen zu können.
Die meisten deutschen Online Versandhäuser bestanden hindessen aus einfachen, leicht dynamisierten Webseiten, während heute beim Seitenaufbau nichts mehr dem Zufall überlassen wird. Prediction Engines begleiten den Besucher der E-Commerce Website Seite für Seite und gestalten die Seiten effizient angepasst für den Besucher um. Der Erfolg gibt recht: 5-15% mehr Umsatz sind damit drin.

2000/2001 platzte die große Internetblase und viele fielen in dieser Zeit aus ihren Online-Wolken auf den harten Boden des neuen Mediums. Sie auch?

Dario Gibellini:
Ich hatte immer Spaß am Job und so war mir das eigentlich egal. Ich hatte auch eigene Ideen, aber da war noch meine Familie und die musste ernährt werden. So musste ich etwas umdenken. Zuerst bot ich meine Dienste TV- und Kinoproduktionen an. Ich produzierte einige Online-Dummies für Produktionen, die dann im Film von den Schauspielern genutzt wurden. Aber die Erfüllung war das nicht und ich wollte wieder richtige Webprojekte aufbauen.
Nun muss man wissen: In Krisenzeiten investieren Banken und Finanzunternehmen stärker. Einige Finanzunternehmen sterben und dieser Platz wird rasant von anderen Konkurrenten eingenommen. Dies geschieht z.B. mit neuen Tochterfirmen. Das war eine Situation, die ich nutzte, um in diesem Bereich meine Dienste anzubieten. Mit Erfolg. Ich produzierte jetzt Websites für Finanzunternehmen. Danach ging es ja zum Glück wieder aufwärts und Online-Versandhäuser kamen hinzu.

Ab wann wurde das Internet Ihrer Meinung nach ein Massenmedium?

Dario Gibellini:
Als jeder auf seiner Visitenkarte eine E-Mail-Adresse stehen hatte. Und Stars geboren wurden, die in Online-Videofilmchen „Alle meine Entchen“ furzen konnten. Heute sieht man einen Unfall bei „Wetten, dass ..?“ und gerade mal 5 Minuten später wird das entsprechende Video auf YouTube schon tausende Mal angeklickt. Ja, da sind Massen am Werk.

Heute dominieren Konzerne wie Google oder Amazon einzelne Online-Felder. Sind diese Quasi-Monopolisten eine Folge der Fehler von traditionellen Unternehmen, die zu spät etwas getan haben oder nur eine logische Konsequenz?

Dario Gibellini:
Man muss klar sagen, dass viele wichtige Unternehmen das Thema Internet anfangs nicht allzu ernst genommen haben. Ihre Anstrengungen waren daher auch nicht allzu engagiert. Aber ab 1999 kam auch dort extrem Fahrt auf. Das Thema war damals einfach noch zu frisch, neues Personal musste ran. Das hat sich inzwischen grundlegend geändert. Es ist also hier nichts in Stein gemeißelt.

(Das Ziel der Reise wird durch den Lautsprecher durchgesagt.)

Ganz kurz noch: Welches sind aktuell die wichtigsten Trends im Online-Umfeld?

Dario Gibellini:
Apps, Apps, Apps.

Wo sehen Sie die größten Gefahren für das immer noch junge Massenmedium?

Dario Gibellini:
Hier gibt es zwei Dinge: Abhängigkeit und gläserner Mensch.

Eines meiner Horrorbilder im Zusammenhang mit der Abhängigkeit ist: Es sitzt ein Liebespärchen auf einer Parkbank, es ist ein wirklich romantischer Augenblick. Beide haben ihr internetfähiges Handy vor sich und sie chatten miteinander. Ohne Worte, basta!

Zum gläsernen Menschen kann man nur sagen, den gibt es wohl schon. Es wäre möglich, Softwaresysteme zu konstruieren, die es erlauben, ein Gesamtbild einer Person von deren verstreuten Dateninformationen im Netz zu liefern und welche zusätzlich automatisch Rückschlüsse zieht.

Wenn ein junger Kollege/Kollegin Sie nach den wichtigsten Regeln und Komponenten für ein erfolgreiches Screen-Design und Web-Producing fragt: Was würden Sie ihm antworten?

Dario Gibellini:
"Luke die Macht sei mit dir!" Sei engagiert. Nutze deine Intuition um mit dem Kunden zusammenzuarbeiten. Glaube niemals, der Kunde hat doch keine Ahnung. Du betrittst als Dienstleister sein Universum. Und hier hat er Ahnung, welche unbedingt mit in deine Arbeit einfließen muss.

Allerletzte Frage: Was wollen Sie nie, nie, niemals online sehen müssen?

Dario Gibellini:
Die Bilder der im Klo von meinem Nachbarn angebrachten Webcam ;)

Das Zuginterview mit Dario Gibellini führte Oliver Hein-Behrens.