Interview: Auch das Netz kommt an Bravo nicht vorbei (exklusiv)

Interview

Trotz Internet und MP3-Downloadkultur: Die Bravo ist Europas größte Jugendzeitschrift und unangefochtener Marktführer in diesem Bereich. medienmilch.de sprach mit dem Bravo-Chefredakteur Philipp Jessen über Auflagenentwicklung, Redaktionskonzept und jugendliches Engagement:

Herr Jessen, Sie kamen von der Vanity Fair zur Bravo? Wie fühlen Sie sich?

Philipp Jessen:
Es gab ja sogar noch eine Zwischenstation: die Bild. Ich empfinde den Schritt zur Bravo als konsequente Weiterführung meine Weges. Den meisten Spaß habe ich immer, wenn man etwas gestalten und die Leute bewegen kann. Das ist bei Bravo eindeutig so. Es ist ein Unterschied, ob man mit einem Menschen einfach nur zusammen ist, oder seine erste große Liebe entdeckt hat. Genau letzteres Gefühl habe ich bei Bravo. Ich komme jeden Tag mit einem Lachen zur Arbeit.

Wie groß ist die Redaktion?

Philipp Jessen:
Knapp 50 Leute zusammen, die anderen Bravo-Titel mit Yeah!, Twist und BRAVO HipHop Special mitgezählt.

Sind Sie zufrieden mit der Auflagenentwicklung?

Philipp Jessen:
Bravo hat immer eine Wellenbewegung gehabt. Wir hatten zum Beispiel 2009 ein absolutes Rekordjahr. Das lag daran, dass die Themen von Gott geschenkt auf den Boden fielen. Wir hatten Lady Gaga und viele andere angesagte Stars. Darüber hinaus den Tod von Michael Jackson. 2010 gab es dann einen Auflagenverlust von knapp 10 Prozent. Dass das nicht gut klingt, ist das eine. Aber wenn man mal zurückschaut, 2006 gab es einen weitaus geringeren Ausschlag nach oben durch Tokio Hotel. 2007 ist die Auflage dann um fast 19 Prozent eingebrochen. Man muss es also immer alles in den Relationen sehen. Die Auflage von Bravo war schon immer star-abhängig. Im Augenblick zieht die Auflage aber wieder stark an. Wir haben viele andere Stars als BRAVO-Stars erkannt und „gebranded“. Die Stars der neuen Super-RTL-Serie „Glee“ beispielsweise. Und wir haben begonnen, die DSDS-Kandidaten früh aufs Cover zu nehmen. Und das funktioniert.

Klaut das Internet Bravo Leser?

Philipp Jessen:
Das Internet macht das Blattmachen sicherlich nicht einfacher. Die Bedeutung von Print als Bindeglied zwischen Star und Fan ist durch das Internet abgeschwächt. Durch das Online-Nutzungsverhalten der Jugendlichen ist es zudem schwieriger, heute echte Stars aufzubauen. Aber ich lasse all diese Gründe als Generalentschuldigung nicht gelten. Es gibt weiterhin massig Gründe, Bravo zu kaufen. Mann muss eben mehr Service und Empathie bieten. Außerdem haben wir eine Menge Storys, die niemand sonst hat. Wir bieten Fotostrecken und Bilder, die man im Netz so nicht findet. Auch das Netz kommt an Bravo nicht vorbei. Mann kann auf alle Fälle trotz Internet ein Heft machen, das sich sehr gut verkauft.

Ist also exklusiver Content der Bravo-Erfolgsschlüssel?

Philipp Jessen:
Ja, Exklusivinhalte sind ein ganz großer Kaufanreiz. Durch privilegierte Partnerschaften ist Bravo in ganz engen Kontakt mit der Musikindustrie und TV-Sendern, die uns ständig neue Talente präsentieren. Wenn wir diese gut finden, gibt es eine Übereinkunft, die besagt: Wir räumen dir redaktionellen Platz ein, weil wir dich gut finden, aber das ganze findet nur bei der Bravo statt.

Stars, Dr. Sommer und das wahre Leben - am Redaktionskonzept scheint sich bei der Bravo in den letzten 30 Jahren nicht viel geändert zu haben. Warum?

Philipp Jessen:
Oberflächlich hat sich nicht geändert. Da gebe ich Ihnen recht. Aber wenn man eine Coca Cola Formel hat, tut man auch ganz schlecht daran, die Formel zu ändern. Ich glaube, das ist eine Formel, die funktioniert einfach. Trotzdem verändert sich im System Bravo viel. Stagnation und Stillstand will unsere Zielgruppe nicht sehen. Daher gehen wir zum einen diese exklusive Partnerschaften mit Stars ein. Zum anderen achten wir sehr darauf, ein junges People-Magazin mit eigen recherchierten guten Geschichten zu sein.

Mal etwas provokant gefragt: Haben Bravo-Leser wirklich auch etwas anderes im Kopf außer Stars und Sex?

Philipp Jessen:
Aber ja! Die Jugend wird hierzulande unterschätzt. Es hat mich selber überrascht, als ich bei Bravo anfing, wie engagiert diese Zielgruppe ist. Problem ist, sie werden nicht abgeholt. Ich merke, dass unsere Leser häufig allein gelassen werden mit ihrem Willen, zu helfen. Das merken wir auch an zahlreichen Leserzuschriften. Modern und jung und projektbezogen zu helfen, da gibt es keine Anleitungen! Ich habe hierfür eine Rubrik „Mach was“ etabliert, wo sich Jugendliche schnell einbringen können.

Das Alter der Bravo-Redaktion entspricht sicherlich nicht dem Alter der Leser. Wie bleiben sie redaktionell an den In-Themen der Jugend?

Philipp Jessen:
Durch die Marktforschung wissen wir, das unsere Zielgruppe sehr heterogen ist. Ein 12-jähriges Mädchen hat unter Umständen also mit einem 13-jährigem Mädchen nichts gemeinsam. Zum einen schaut unser Redaktionsteam natürlich genau hin, welche Trends es gibt. Zum anderen gehört die Bravo auch zu den Medien, die Themen, Stars und Trends machen können, um dann auf dieser Welle zu surfen. Außerdem sind wir sehr vernetzt mit unserer Zielgruppe, sei es durch Leserbriefe, die bei uns eine hohe Bedeutung haben oder durch das Internet. Der durchschnittliche Bravo-Leser ist übrigens 13,7 Jahre alt.

Ihre Ziele für Bravo 2011/2012?

Philipp Jessen:
Ohne etwas verraten zu können: Wir schrauben ganz viel. Mein Ziel ist die ständige Erneuerung. Wir dürfen nicht still stehen! Nur so kann man das größte Jugendheft machen.

Das Interview mit Philipp Jessen führte Oliver Hein-Behrens.