Ein Interview mit Mr. Lindenstraße (exklusiv)

Interview

Der Regisseur, Autor und Produzent Hans W. Geißendörfer feierte am 6.4.2011 seinen 70. Geburtstag. Er ist seit 25 Jahren für die längste Serie im deutschen Fernsehen, die Lindenstraße, verantwortlich. Zwei von vielen Gründen für medienmilch.de, Mr. Lindenstraße einige Fragen persönlich zu stellen:

70 Jahre Geißendörfer, 25 Jahre Lindenstraße - herzlichen Glückwunsch! Haben Sie eigentlich ein wenig Bauchschmerzen, wenn Sie viele in der Medienbranche nur noch als "Mr. Lindenstraße" sehen und damit 45 Jahre Ihres filmischen Schaffens ausblenden?

Hans W. Geißendörfer:
Nein, keine Bauchschmerzen, eher ein angenehmes Kribbeln im Bauch, wenn man mich " Vater der Lindenstraße " nennt. Das ist genauso mein Baby wie die Filme , die ich gemacht habe oder gerade mache. Und man soll zwar seine Kinder alle gleichmäßig lieben, aber " Lindenstraße " lieb ich fast ein bisschen mehr als die anderen, was sicher auch damit zu tun hat, dass dieses Baby permanent meine Fantasie und meine Arbeit braucht, die anderen aber mir immer wieder eine Pause gönnen.

Thema Orkan, Lea und Herr Ziegler: Wie sind eigentlich die Reaktionen des Publikums hier?

Hans W. Geißendörfer:
Soweit sie uns vermittelt werden wunderbar kontrovers. Die einen sehen den wahrhaftigen Teufel in Orkan, die anderen einen wunderbar begabten Mitbürger. Lea wird von fast allen geliebt und Tom bekommt demnächst eine coole Story , die sicherlich auch diskutiert wird. All diese Reaktionen sind aber genau das, was " Lindenstraße " braucht und ausmacht: Heftige Diskussion, lebendiges Mitdenken und kontroverse Haltungen zu den einzelnen Ereignissen.

Wurde der Handlungsstrang Orkan/Lea vielleicht von Ihnen auch ein wenig kreiert, um wieder ein jüngeres Publikum zu erreichen? Wie alt ist denn der durchschnittliche Lindenstraßen-Gucker?

Hans W. Geißendörfer:
Bei der Entwicklung von Orkan haben die Autoren und ich an keine Altersgruppe als Zielgruppe gedacht. Orkan ist für alle interessant , war unsere Meinung. Im Durchschnitt hat die " Lindenstraße " auch so erfreulich viele jugendliche Zuschauer.

Über die Lindenstraße sagen Sie: "Sie bietet mir die Möglichkeit, einmal pro Woche mindestens einen vernünftigen Satz unters Volk zu streuen." Gibt es eigentlich seriöse Untersuchungen über den kulturell-politischen Einfluss der Lindenstraße auf die Zuschauer?

Hans W. Geißendörfer:
Ja, gibt es. Ich hab sie aber keineswegs alle gelesen. Über 150 Diplomarbeiten und zwei Habilitationsschriften geben wissenschaftlich Bescheid über all die Fragen der Wirkung und des Einflusses etc. Ich selbst glaube nicht, dass Fernsehen tiefgründend eine Haltung verändern kann. Ich weiß aber, dass es Haltungen stärken und bestätigen kann. Dass es sogar Mut machen kann, vermute ich auch.

Wie man von der Special-DVD anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Lindenstraße sehen konnte, ist Anna Ziegler alias Irene Fischer eine sehr aktive Drehbuchautorin für die Serie. Könnte Sie Ihre Nachfolgerin werden, wenn Sie das Zepter als Produzent und Chefautor eines Tages einmal abgeben wollen?

Hans W. Geißendörfer:
Die Frage stellt sich nicht. Das Ganze ist als Endlosserie angelegt, und ich möchte die "Lindenstraße" solange machen, wie es mir möglich ist.

Was schauen Sie denn eigentlich sonst so, wenn Sie vor dem Fernseher sitzen?

Hans W. Geißendörfer:
Ich sitze selten vor dem Fernseher und wenn, dann guck' ich Fußball oder Nachrichten. Filme schau ich mir nach wie vor lieber im Kino an.

Wie werden TV-Serien und insbesondere die Lindenstraße Ihrer Meinung nach in 20 Jahren technisch und inhaltlich aussehen? Werden wir dann alle 3-D-Brillen im Wohnzimmer tragen?

Hans W. Geißendörfer:
Wir werden vor 3-D Geräten sitzen, die keine Brillen mehr fordern und das ist gut so. Natürlich wird Ihr Gerät auch umgestellt werden können auf alte Techniken. Aber 3-D wird normal sein und es wird wahrscheinlich auch schon den Fernsehstuhl geben, der Sie tatsächlich in die Mitte des Geschehens setzt und wo Sie sich entscheiden müssen, in welche Richtung Sie sich jetzt drehen müssen, um das zu sehen, was sie gerade sehen wollen. Ein sich von hinten anschleichender Feind wird für sie erst dann sichtbar sein, wenn sie sich zu ihm umdrehen. Drehen sie sich nicht zu ihm um, sehen sie ihn nur, wenn er seinem Gegner schon das Messer vor ihren Augen in den Rücken sticht.

Zu guter Letzt: Wann kommt Zoro endlich wieder zu Besuch in die Lindenstraße und welche weiteren Überraschungen werden wir in den nächsten Folgen sehen?

Hans W. Geißendörfer:
Zorro bleibt erst mal in der großen weiten Welt und Überraschungen wird es geben. 'Ne ganze Reihe davon sogar. Aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich Ihnen genau die nicht nennen darf.

Die Fragen an Hans W. Geißendörfer stellte Oliver Hein-Behrens.