Kommentar: Muss man persönlich in Seehofers Keller gehen? - UPDATE

Kommentar

"Skandal beim Henri-Nannen-Preis im Schauspielhaus", titelt das Hamburger Abendblatt. Was war passiert? In ihrer Sitzung am 5. Mai 2011 hatte sich die Hauptjury entschlossen, den Preis für die beste Reportage (Egon-Erwin-Kisch-Preis) an René Pfister zu vergeben.

Für den Spiegel portraitierte er den Politiker Horst Seehofer "Am Stellpult" seiner Modelleisenbahn, die Seehofer, so Jury-Mitglied Peter Matthias Gaede "mit postbubertierendem Spieltrieb" gestalte und bediene. Der Autor - so die offizielle Pressemeldung - "decouvrierte auf unterhaltende und gleichzeitig sehr präzise Weise die Herrschaftsmethoden des bayrischen Ministerpräsidenten und seinen politischen Herrschaftswillen".

Alles wunderbar? Nicht ganz: Am Preisabend sagt doch der Pfister auf die Frage von Moderatorin Bauernfeind, wie es ihm gelungen sei, in Seehofers Keller zu kommen, ganz ehrlich, er sei dort ja gar nicht gewesen. Bummkrach! Was? Wie bitte! Große Aufregung, großer Skandal?

Mitnichten, meint medienmilch.de, als ansonsten Spiegel-kritisches Organ: Zum einen geht es beim Eisenbahnkeller nur um den Einstieg in die Reportage und nicht den eigentlichen Hauptext. Ganze 211 von 2324 Wörtern der Reportage (ohne Überschrift), also nur knapp 10 Prozent, behandeln die Kellerszene.

Viel wichtiger aber noch als der quantitative Aspekt ist der qualitative. Die Kernfrage dabei: Basiert die beschriebene Szene auf wahren Informationen oder ist sie erfunden? Die Antwort auf diese Frage ist von elementarer Bedeutung, denn eine klare Erfindung der Szene müsste zwangläufig zu einer Aberkennung des Preises führen.

Hier sagt Pfister laut Tagesspiegel, die Kellerszene "basiere auf zahlreichen Gesprächen mit Seehofer selbst und engen Mitarbeitern". Ist dem so, so ist der Preis berechtigt und eine Aberkennung wäre der eigentliche Skandal.

 

UPDATE (10.5.2011 - 08:04 Uhr): René Pfister wird die Auszeichnung wohl aberkannt. Eine Presseerklärung dazu soll heute veröffentlicht werden. Laut Hamburger Abendblatt waren zahlreiche Jurymitglieder wie z.B. der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung gegen diese Aberkennung.