Ich gehörte ihnen schon vor meiner Geburt!

Kommentar

Hamburg, 5. August 2031: Habe gerade mit meinem juristischen Online-Avatar-Berater kommuniziert. Er sagt, da wäre nichts zu machen: Meine Eltern hätten mich nun mal vor 20 Jahren als ungeborenes Kind bei der Social Media Community „Gesichtsbuch“ angemeldet und danach hätte ich bzw. mein Name automatisch nach meiner Geburt ein „Gesichtsbuch“-Profil erhalten.

Meine Eltern hätten ja laut damaligen Geschäftsbedingungen bis zum ersten Geburtstag widersprechen können, haben sie aber nicht! Und jetzt wäre eine Löschung meines „Gesichtsbuch“-Profils chancenlos, zumal der Gerichtsstand Moon City ist.

Das seitdem die virtuellen „Freunde“ und „Folger“ bei diesem „Gesichtsbuch“-Konto machen, was sie wollen bzw. ich eigentlich gar keinen Zugriff mehr auf meine virtuelle Identität habe, hätte schließlich damit zu tun, dass meine Eltern meinen „Gesichtsbuch“-Account „für gutes Geld“ an die damals noch seriöse Marketingfirma „KaufdireinenvirtuellenFreund.com“ verkoppt hätten. Einfach so! Für einen Appel und ein Ei! Ich war damals zarte 6 Jahre jung und wusste nichts von den Geldproblemen meiner Erzeuger. War auch besser so, denn so wusste ich auch nicht, dass mein virtueller Namensvetter bereits im zarten Alter von 10 ein ausgeprägter Waffennarr und Freund der Pornografie war, natürlich ordentlich von den entsprechenden Kunden der Marketingfirma dafür bezahlt.

Natürlich gab es zu dieser Zeit noch keinen juristisch korrekten Unterschied zwischen einer virtuellen und einer realen Identität. Als ich dann mit 16 Jahren logischerweise ganz real das erste Mal bei einer Routinekontrolle wegen Verdachts auf Waffenschmuggel verhaftet wurde, fiel ich aus allen Wolken und meine Eltern entschuldigten sich bei mir. Mein virtueller Gesichtsbuch-Namensvetter hatte inzwischen 2,3 Millionen Freunde, eine stattliche virtuelle Familie von 1.568 Kindern, 250.567 Handfeuerwaffen und sonstige Mordinstrumente sowie die größte Sammlung an musealen schwedischen Pornofilmen des letzten Jahrtausends, die natürlich jederzeit käuflich online von ihm zu erwerben waren. Nun war mir auch bewusst, warum mich meine Stadt als Azubi für die mittlere Beamtenlaufbahn ohne Begründung ablehnte und zahlreiche Frauen nichts mehr von mir wissen wollten nach dem ersten Online-Check.

Heute kann sich keiner mehr vorstellen, was für ein Wirrwarr das damals so um 2010 war mit den Unterschiedlichkeiten von virtuellen und realen Identitäten bei gleicher Namensgebung. Anfangs schrieb ich blauäugig E-Mails an „Gesichtsbuch“, um sie zu bitten, meinen Account zu löschen. Ich bekam natürlich nie eine Antwort. Warum auch? Ich hatte nichts mehr mit dem Namen zu tun, den meine Eltern vor meiner Geburt bei Gesichtsbuch anmeldeten.

Aber es gibt trotzdem Hoffnung: Mein juristischen Online-Avatar-Berater mailt mir nach Übersendung der 250 Cybereuro die Unterlagen für eine ganz reale Namensänderung „wegen virtueller Identitätsprobleme“. Dieses Verfahren würde zwar bis zu zwei Jahre dauern, hätte aber eine reale Chance auf Erfolg von über 80 Prozent. Schließlich wäre ich einer von Millionen ganz realen Menschen, die Probleme mit seinem verkauften, verpfändeten oder geklauten „Gesichtsbuch“-Namensvetter hätten.

Beim Vorschlag für meinen neuen Namen im realen Leben sollte ich – so mein Online-Avatar-Berater - aber unbedingt darauf achten, nicht weniger als acht Zeichen, darunter mindestens ein Sonderzeichen und eine Zahl zu benutzen. Das hätte man – ich höre ein verfremdetes Kickern über mein implantiertes Headset - vor 20 Jahren nur für virtuelle Namen gemacht!

(Diese Kurzgeschichte wurde durch diese Meldung angeregt. Ähnlichkeiten zu realen und/oder virtuellen Personen und Namen sowie mächtigen Social Media Communities der Jetztzeit und der nahen Zukunft sind rein zufällig und werden niemals mehr nicht vorkommen.)