Bejammernswerte Position des Redakteurs gegenüber dem Verleger

Kommentar

Dieser in Bezug auf Verleger schonungslos offenen Text hat Kurt Tucholsky bereits 1932 veröffentlicht. Er scheint im Moment erschreckend aktuell zu sein: ... Die Standesvertretung der deutschen Redakteure hat es bisher nicht vermocht, ein würdiges Verhältnis des Redakteurs zum Verleger herzustellen, Stets empfindet der Verleger für den Redakteur so etwas wie eine leise Verachtung; in guten Häusern sind die Umgangsformen zwischen den beiden Lagern angenehm und demokratisch, an der wirklichen Lage ändert das nichts. Der Verleger ist im allgemeinen tief davon durchdrungen, dass Redakteure nur Geld kosten, aber wenig einbringen; dass im Grunde er, der Verleger, die Sache viel besser verstehe, und dass man jeden Redakteur davon jagen und durch einen andern ersetzen könne. Beim Inseratenchef sieht das wesentlich anders aus.

… Der deutsche Zeitungsverleger ist ein ängstlicher Mann; er will Geld verdienen, was ihm kein Mensch übel nimmt, und er will nur Geld verdienen, was ihm sehr übel zu nehmen ist.

… Das geht ins Groteske. S. J. warf einst einem Berliner Redakteur vor: »Aber bei euch genügen doch schon vier Beschwerdebriefe, und jeder von euch kann herausfliegen!« Der Redakteur erwiderte tiefernst: »Herr Jacobsohn, Sie irren sich. Es genügt schon einer.« Die Furchtsamkeit der Verleger geht ins Aschgraue. Irgend ein Interessenverband, dessen Syndikus sich etwas Bewegung machen will, eine Sparte des Annoncenteils, die infolge eines Zeitungs-Artikels leicht ins Wackeln gekommen ist, sind imstande, den ganzen Laden durcheinander zu bringen.

… Wem dienen die Zeitungen? Dem öffentlichen Interesse? Du lieber Gott! Das können sie nicht, weil sie nichts wagen. Die Öffentlichkeit hat noch eine gewisse Scheu vor der Presse, aber die Presse hat eine ungeheure Angst vor der Öffentlichkeit. Einem Sturm trotzen? Seinen Standpunkt auch dann wahren, wenn jeder zehnte Abonnent abbestellt? Wenn der gefürchtete Boykott durch irgend einen gereizten Reichsverband Deutscher Feinkosthändler heraufbeschworen wird? Es gibt nur eine Sorte Menschen, die der Zeitungsverleger nicht fürchtet: das sind die geistigen Menschen. Die können protestieren, das macht nichts.

… Das Verhältnis des angestellten Schriftstellers zum nicht angestellten Schriftsteller ist ein einziger Skandal – das äußerste an Unkollegialität und an Schmierigkeit, an äußerstem Mangel von Solidarität, der nur denkbar ist. Ich habe in zwanzig Jahren Literatur etwa fünf Redakteure kennen gelernt, die sich nicht einbildeten, deshalb, weil man sie angestellt hatte, etwas Besseres zu sein als ihre Mitarbeiter.

… Kurz: der Redakteur gleicht seine Machtlosigkeit vor dem Verleger durch Machtprotzerei vor dem Mitarbeiter aus. Und nicht nur dem Mitarbeiter gegenüber. Auch sich selbst gegenüber.

… Die Klugen unter den Redakteuren wissen zwar genau, was los ist; doch beherrscht die Redaktionen jener Spruch, den sich die Herren auf goldene Teller malen lassen sollten: »Das kann man natürlich nicht schreiben!« Aber warum, warum können sie es nicht schreiben?

Weil sie keine Macht haben. Weil ihre allzu willfährigen Organisationen, mit dummen Eitelkeits-und Prestige-Fragen befaßt, von den Unternehmern rechtens niemals so beachtet werden wie etwa in frühem Zeiten die Gewerkschaften der Buchdrucker, und weil der Redakteur von seinem Eitelkeitswahn unheilbar besessen ist. Der Verleger zahlt ihn schlecht; so macht er sich durch das bezahlt, was er selber von sich hält. Und er hält sehr viel von sich.

… Ich habe nichts zu enthüllen – ich weiß von keinen Skandalgeschichten. Mich interessieren die einzelnen Verleger nicht, und ich kann hier keinen ›Sumpf‹ aufzeigen. Doch erschien es mir richtig, einmal zu sagen, welche bejammernswerte Position der Redakteur dem Verleger gegenüber einnimmt, und wie er sich aus dieser Lage herauslügt: durch Überkompensation seiner selbstverschuldeten Defekte und durch eine trübe Wichtigmacherei sich und seinen Mitarbeitern gegenüber.

Kurt Tucholsky (* 9. Januar 1890 in Berlin; † 21. Dezember 1935 in Göteborg) war deutscher Journalist und Schriftsteller. Tucholsky zählte zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik. Als politisch engagierter Journalist und zeitweiliger Mitherausgeber der Wochenzeitschrift Die Weltbühne erwies er sich als Gesellschaftskritiker in der Tradition Heinrich Heines. (Quelle: Wikipedia.de)

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