Online-Plattformarbeit: Frei, flexibel und ohne soziale Absicherung

Kommentar

Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung über Online-Plattform-Projektvermittler wie Twago oder Freelande.de enthält klare Botschaften an Politik, Institutionen der Tarifpartner und Plattform-Betreiber:

Die Bertelsmann-Stiftung stellte auf der Konferenz re:publica19 mit Björn Böhning, Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Carlos Frischmuth, Bundesverband für selbständige Wissensarbeit e.V., und Britta Redmann, Expertin für Arbeitsrecht, ihre Studie „Plattformarbeit in Deutschland“ vor. Die von Kantar durchgeführte Studie liefert Antworten auf die zentralen Fragen in diesem Beschäftigungsbereich: Wie geht es Online-Plattformarbeitern in Deutschland wirklich? Was halten sie von ihrer Tätigkeit und von der Digitalisierung? Insgesamt wurden rund 700 Cloud- und Gig-Worker sowie neun Experten befragt. Die Ergebnisse der repräsentativen Studie werfen gewohnte Bilder über den Haufen. Klare Botschaften an Politik, Institutionen der Tarifpartner und Plattform-Betreiber gibt es auch.

Vorherrschende Annahmen einem „Realitätscheck“ unterzogen

Die Diskussion über sogenannte Plattformarbeit ist in Deutschland sehr stark von Annahmen und Bildern bestimmt, die auf klassische Kategorien zurückgreifen wie "Arbeitnehmer", "Arbeitgeber", "abhängige Tätigkeit", "Scheinselbstständigkeit", "Solo-Selbständigkeit" und "prekäre Arbeit". Zugleich werden Cloud-, Click-, Crowd- oder auch Gig-Work gern als Synonym für eine digital dynamisierte Turbo-Marktwirtschaft und eine extrem verdichtete digitale Arbeitsweise betrachtet. Gerade in Zeiten fehlender sozialer Absicherung auf einem globalisierten Arbeitsmarkt im Netz kommt es aber darauf an, dieses Bild mit der Realität abzugleichen und zugleich empirisch zu unterfüttern.

Die vorliegende Studie hat zu zwei wichtigen Erkenntnisse geführt:

Plattformarbeit wird vom Großteil der dort auf diese Weise Tätigen sehr geschätzt wegen ihrer Flexibilität und der Möglichkeit zur freien Arbeitsgestaltung.

Zugleich kritisiert eine deutliche Mehrheit der Plattformarbeiter stark die fehlende soziale Absicherung (Krankheit, Alter, Berufsunfähigkeit).

Innerhalb dieses Ergebnisraums ist es demnach an der Politik, den Tarifpartnern und den Interessenvertretern der Plattformarbeit, einen entsprechenden Regulierungsrahmen zu schaffen. Er sollte die genannten Vorteile dieser Form des Arbeitens aber keinesfalls konterkarieren.

Generell sind Plattformarbeiter (verstanden hauptsächlich als Cloud- und Gig-Worker) gegenüber der Digitalisierung der Arbeit deutlich offener eingestellt als der Durchschnitt der Berufstätigen (67 Prozent gegenüber 38 Prozent sehen Chancen) und stärker an den neusten Trends interessiert (68 Prozent gegenüber 34 Prozent). Besonders auffällig ist dies bei der Einschätzung mobiler Arbeit zum Zweck der Zeitersparnis und Effizienzsteigerung: 64 Prozent der Plattformarbeiter sehen diesen Zusammenhang, aber nur 24 Prozent aller Beschäftigten.

Der in Deutschland auf oder mithilfe einer digitalen Arbeitsplattform Tätige entspricht zu 25 Prozent dem Bild des prekären „Clickworkers“, wie es häufig in Diskussionen um prekäre und importierte Clickarbeit verwendet wird. Jeder vierte Plattformarbeiter muss demnach mit weniger als 1.500 Euro pro Monat auskommen.56 Prozent der Plattformarbeiter erzielen monatlich nur is zu 400 Euro Einkommen mithilfe der Plattformen und wenden dafür durchschnittlich sechs Stunden pro Woche auf, verdienen dann also nicht mehr als 16 Euro die Stunde. In den allermeisten Fällen (99 Prozent) soll es sich bei der Ausübung von Plattformarbeit aber angeblich um eine Nebenerwerbstätigkeit handeln, die die Haupttätigkeit zeitlich und finanziell nur ergänzt.

Weitere von den Online-Plattformen kritisierte Aspekte waren:

Unzureichende Entlohnung und ständige Verfügbarkeit sind zwar ebenfalls genannte Nachteile dieser Form der Arbeit. Als größere Defizite werden jedoch die mangelnde soziale Absicherung und die fehlende Garantie von Schutzrechten angesehen. Den Befragten ist vollkommen klar, dass diese Nebentätigkeit nicht zur vollständigen sozialen Absicherung beitragen kann und dass hier politischer Handlungsbedarf besteht.

Weiterhin wiesen die Experten, die unabhängig von den 700 Plattformarbeitern befragt wurden, auf folgende Risiken hin: ruinöser Wettbewerb zwischen den Plattformarbeitern, erhöhtes Drohpotenzial gegenüben internen Beschäftigten, fehlende Passgenauigkeit zwischen Plattformarbeit und den Vorschriften im Bereich traditionellen Arbeitens und zu schnelle Abwanderung von Fachkräften in Richtung Plattformarbeit.

Die in Tiefeninterviews befragten Experten aus den Unternehmen schlagen vor,

  • die auf Plattformen Arbeitenden an der Weiterentwicklung der Plattformen zu beteiligen,
  • eine Transformationssicherung in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens zu garantieren,
  • eine Sozialkasse für Plattformarbeiter einzurichten,
  • die Möglichkeit auszuweiten, mobil zu arbeiten,
  • die Schulung von Angestellten bezüglich digitaler Kompetenzen auszuweiten und
  • eine TÜV-ähnliche Kontrollinstanz einzurichten

Die Experten legen besonderen Wert auf folgende Feststellung: Politik und traditionelle Institutionen der Tarifpartner müssen diese neue Gruppe der Plattformarbeiter in ihre Reformüberlegungen einbeziehen. Damit weisen die Vorschläge der Experten letztlich in eine Richtung der politischen Gestaltung, die aus den gewohnten Pfaden der Politikentwicklung und der Diskussion ausbricht und neue Wege einschlägt. So wäre es beispielsweise sehr hilfreich, wenn „hybrid Arbeitende“ als neue Gruppe der Erwerbstätigen in den Mikrozensus mit aufgenommen würden.