Gastkommentar: Unternehmen, vergesst Wikileaks!

Frischmilch

Der Kopf der Whistleblower-Website, Julian Assange, wurde verhaftet. Aufatmen? Erleichterung? Genugtuung? Vielleicht bei der US-amerikanischen Administration. Aber hoffentlich nicht bei Unternehmen. Der Medienhype rund um Wikileaks der vergangenen Wochen war in Deutschland seltsam verengt:

Die Berichterstattung konzentrierte sich auf ihren exzentrischen Gründer Julian Assange sowie die Veröffentlichungen von vertraulichen Depeschen und Informationen über Kriege. Es gab Titelgeschichten und ganzseitige Porträts. Einige wenige wie der Spiegel dürfen sogar als exklusive Medienpartner mitmachen und mitverdienen.

Übersehen wird häufig, dass Wikileaks auch interne Dokumente und Dossiers von Unternehmen veröffentlicht hat, wie zum Beispiel über die katastrophale Kreditvergabepraxis der isländischen Kaupthing Bank. Assange erklärte jüngst in einem Interview, dass die Hälfte aller Dokumente, die Wikileaks anonym zugespielt wurden, aus Unternehmen stammt. Vielen Unternehmen ist die Tragweite der strukturellen Entwicklungen der letzten Jahre nicht bewusst: Wikileaks ist nur ein Beispiel für die wachsende Anzahl von Transparenz-Treibern. Wikileaks kann scheitern. Vielleicht geht das Geld aus. Vielleicht laufen die Aktivisten davon. Aber das Phänomen geht nicht wieder weg.

Es wird andere Whistleblower-Plattformen im Internet geben. Auch solche, die sich auf Unternehmen spezialisieren. Längst hat der ehemalige Wikileaks-Mitstreiter John Young mit cryptome.org eine eigene Enthüllungswebsite gestartet. Daniel Domscheit-Berg, der sich im Streit von Wikileaks trennte, hat ebenfalls angekündigt, neue Plattformen zu entwickeln. Was das für Unternehmen bedeutet, hat Wikileaks im Ansatz schon bewiesen. Allein die Ankündigung, dass auf der Website bald brisante, vertrauliche Informationen über das unethische Verhalten von US-Banken veröffentlicht werden, führte zu Kursverlusten der Bank of America. Denn es gab Spekulationen, dass sie eine der Banken sei.

Ob es Unternehmenslenkern passt oder nicht: Wir sind angekommen im Zeitalter der Transparenz. Unternehmen müssen geführt werden nach der Erkenntnis des Glashaus-Axioms: Jedes unternehmerische Handeln ist öffentlich. Gut geführte Unternehmen haben nichts zu fürchten. Die Gefahr, dass unethisches Verhalten ans Licht kommt, wird künftig jedoch weiter steigen. Mit Wikileaks oder ohne Wikileaks. Die Büchse der Pandora ist geöffnet.

Dr. Volker Klenk
Volker Klenk, 48, ist Herausgeber des FAZ-Buches „Corporate Transparency“. Er betreibt die Themenwebsite transparenz.net und ist Managing Partner von Klenk & Hoursch Corporate Communications.