Werberat erhielt 915 Proteste gegen 479 Werbekampagnen

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Die Bürger in Deutschland lassen sich nicht nur von der Wirtschaft als Kunden mit Informationen über das Angebot umwerben, sie begleiten das kommerzielle Werbegeschehen auch mit kritischem Blick. Das geht aus der Arbeitsbilanz des Deutschen Werberats hervor, die das Gremium jetztin Berlin für das Jahr 2012 vorstellte.

Danach haben sich 915 Konsumenten mit Beschwerden über 479 Werbeaktivitäten an die Institution in Berlin gewandt. Die Motive der Proteste reichten von vermuteten Rechtsverstößen bis hin zu sozial motivierten Gründen wie beispielsweise unterstellter Diskriminierung von Menschen, Gewaltverherrlichung oder Gefährdung von Kindern oder Jugendlichen.

Gut die Hälfte der von Kritik betroffenen Werbekampagnen (174 Vorgänge) fiel nicht in den Kompetenzbereich des Werberats. So ist das Gremium nicht für angenommene Rechtsverstöße zuständig. Sie werden entsprechenden Institutionen zur rechtlichen Behandlung übergeben, wie gegebenenfalls der Staatsanwaltschaft oder der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs (Bad Homburg). Die 13 Mitglieder des Werberats haben ausschließlich ein Mandat für kommerzielle Kommunikation im Auftrag der 40 im Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW vereinten Organisationen der Werbeinvestoren, Medien und Agenturen.

Insgesamt 305 Kampagnen kamen auf den Tisch des Werberats zur Entscheidung. Das waren 16 Prozent mehr als im Vorjahr (262). Davon sprach das Gremium in 233 Fällen die Firmen frei (Vorjahr: 175). Dieses Urteil erfolgt dann, wenn sich nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls der kritische Einwand des Beschwerdeführers als nicht tragfähig für eine Beanstandung erweist. So protestierte beispielsweise ein Bürger gegen den Ausdruck "Versicherungs-Chinesisch" in der Plakatwerbung einer Versicherungsfirma. Seiner Meinung nach sei dies "Rassismus gegenüber der chinesischen Kultur". In einem anderen Fall fühlte sich ein Beschwerdeführer empfindlich beleidigt als ein Kaufhaus in seinem Prospekt Schlafanzüge mit einem kleinen Mädchenbewarb, das mit seinen Eltern im Bett liegt und dem Betrachter verschmitzt lächelnd die Zunge herausstreckt. 

Bei 72 Werbekampagnen stellte sich der Werberat an die Seite der Protestler. Sein Votum setzte sich bei den Unternehmen fast immer sofort durch: Die vom Werberat beanstandete Werbung wurde überwiegend aus dem Markt genommen (57 Fälle) oder entsprechend geändert (9 Fälle). Das entspricht einer Durchsetzungsquote des Gremiums von 92 Prozent und damit einer extrem hohen Akzeptanz seiner Urteile in der Wirtschaft. "Werbung aus dem Markt zu nehmen,obwohl sie rechtlich in Ordnung ist, zeugt nicht nur von ausgeprägter Autorität des Werberats, sondern vor allem auch von Selbstverantwortung derwerbenden Unternehmen", so Wiegmann.

Stoppt eine Firma nicht unmittelbar die beanstandete Werbung oder korrigiert sie, setzt das Gremium den Vorgang durch eine Öffentliche Rüge der Diskussion in den Massenmedien aus. 2012 war das sechsmal der Fall, in allen Fällenwegen frauenherabwürdigender Werbeformen. 

Die Entscheidungen fällt ein Gremium aus 13 Experten aller Bereiche der Branche. Sie werden von den 40 im Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft ZAW organisierten Verbänden alle drei Jahre gewählt. Besonderen Wert legt der Werberat bei seinen Beurteilungen auf ausgewogene Entscheidungen. Das Gremium orientiere sich an der gesellschaftlichen Realität unter Einbeziehung der ständig in Bewegung befindlichen Lebenssachverhalte. "Die aktuell herrschende Auffassung über Sitte, Anstand und Moral in der Gesellschaft, die Verhaltensweisen der Bürger im öffentlichen Leben sowie die Medienwirklichkeit sind wesentliche Konstanten im Urteilsschema des Rats", heißt es im Jahresbericht der deutschen Werbeselbstdisziplin. So würde das Gremium beim Beschwerdemotiv von unterstellter Diskriminierung von Frauen auch feministische Sichtweisen als Teil einer aktuellen Weltanschauung einbeziehen - neben anderen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens als Prüfkriterien.

Die Gründe, warum sich im Jahr 2012 die Bevölkerung an den Werberat mit Beschwerden wandte, verteilen sich über 15 Motivfelder. 112 Unternehmen, und damit über ein Drittel (37 Prozent; Vorjahr: 34 Prozent), sahen sich dem Vorwurf gegenüber, ihr Werbesujet beleidige und diskriminiere Frauen. Mit Abstand folgen weitere Protestgründe: Diskriminierung von Personengruppen (29 Kampagnen / 10 Prozent), Gewaltverherrlichung (27 / 9 Prozent), Gefährdung von Kindern und Jugendlichen (19 / 6 Prozent), Verstoß gegen moralische Mindestanforderungen (16 / 5 Prozent), Rassendiskriminierung (10 / 3Prozent), Unzuträgliche Sprache in der Werbung (10 / 3 Prozent). 

Auffällig bei den von Werbekritik aus der Bevölkerung betroffenen Branchen war die Dominanz der Eigenwerbung der Medien mit 29 Kampagnen - deutlich mehr als im Jahr zuvor mit 14 betroffenen Sujets. Der Dienstleistungssektor folgt mit 25 Vorgängen (Vorjahr: 22), Unterhaltungselektronik 25 (22), Gaststättengewerbe 24 (14) und Bekleidung mit 23 Kampagnen (17). Bemerkenswert auch, dass trotz der öffentlichen Erregbarkeit in Sachen Lebensmittel diese Branche erst an sechster Stelle mit 22 (20) von Protesten belegten Kampagnen folgt. "Offensichtlich klafft dort eine Lücke zwischen werbegeübten und lebenserfahrenen Konsumenten einerseits und politisch-medialinszenierten vorgeblichen Problemen in der Lebensmittelwerbung andererseits", beobachtet der Werberat. Die weiteren Branchen vor dem Werberat lagen 2012 unter der Menge von 20kritisierten Sujets.

Nach Mediengruppen haben den Protestlern aus der Bevölkerung einzelne Werbedarstellungen auf Plakaten (81 Sujets) und Fernsehspots (80) am meisten missfallen. Mit Abstand folgen Prospekte (36), Werbung im Internet (31), Anzeigen in Publikumszeitschriften (19) sowie Werbung in Tageszeitungen gleich auf mit Radiospots (12). Andere Werbemediengattungen wie Anzeigen in Fachzeitschriften oder Kinospots liegen unterhalb der Bedeutungsschwelle.