Umfrage: 73 Prozent der Deutschen wünschen sich mehr Einfluss auf politische Entscheidungen

Aufreger des Tages

Eine bevölkerungsrepräsentative Umfrage für das Magazin Reader's Digest, über die das Magazin in seiner Januar-Ausgabe ausführlich berichtet, ergab, dass in Deutschland der Unmut der Bürger über die Regierenden besonders groß ist.

Eine Mehrheit von 73 Prozent der Befragten beklage, dass der Einfluss der Bürger auf die Entscheidungen der Politik zu gering sei. 65 Prozent glauben zudem, die Politik könne drängende Probleme nicht lösen. 60 Prozent gaben an, Politik werde zu häufig gegen die Wünsche der Menschen gemacht. Nur 29 Prozent der deutschen Befragten sagten: "Alles in allem funktioniert das politische System ziemlich gut."

Aus Sicht von Professor Stefan Liebig, Soziologe an der Universität Bielefeld, lassen die Werte aufhorchen. Zwar sei das politische System in Deutschland nicht grundsätzlich in Gefahr, "deutlich wird allerdings, dass die Menschen stärker an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt werden möchten". Als Beispiel für diesen Trend sieht Liebig aktuelle Debatten wie die Diskussion um das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21.

Tiefe Skepsis gegenüber der Politik herrscht aber nicht nur in Deutschland und dort vor allem in den neuen Bundesländern, sondern auch in Österreich. Dort gaben 56 Prozent an, Politik würde zu häufig gegen die Wünsche der Bürger gemacht, und gleich drei von vier Befragten sagten, die Politik könne viele drängende Probleme nicht lösen. 55 Prozent sagen aber auch: "Wer sich politisch engagiert, kann etwas bewegen."

Ganz anders fallen die Werte in der Schweiz aus. Dort sind 67 Prozent der Bürger mit ihrem politischen System und den Möglichkeiten der Mitbestimmung zufrieden. Aus Sicht des Experten Liebig überrascht das nicht. "Die Bevölkerung ist viel stärker in einzelne Fragestellungen eingebunden. Bei langfristigen Vorhaben versucht man in der Schweiz eine möglichst breite Zustimmung in der Bevölkerung zu erhalten."

In einem Punkt sind sich die Bürger der drei Länder fast einig: Politik richtet sich demnach weniger am Gemeinwohl als an den Interessen einzelner gesellschaftlicher Gruppen aus.

An anderer Stelle klaffen hingegen wieder große Lücken zwischen den drei Nachbarn, wie die Umfrage für Reader's Digest ergab. 54 Prozent der Deutschen beklagen, es ginge in ihrem Heimatland ungerecht zu. Die Mehrheit der Schweizer (78 Prozent) und der Österreicher (56 Prozent) glaubt genau das Gegenteil.

Große Unzufriedenheit äußerten die Deutschen über das Bildungs-, Gesundheits- und Rentensystem. Beispiel Bildung: 58 Prozent der Deutschen sind mit dem existierenden System unzufrieden, nur 40 Prozent zufrieden. Zum Vergleich: In Österreich sind 43 Prozent unzufrieden, aber 54 Prozent zufrieden. Und in der Schweiz gaben gar nur 14 Prozent dem System schlechte Noten, hingegen zeigten sich 84 Prozent "sehr zufrieden" oder "eher zufrieden".

Ähnlich gravierend fällt der Unterschied im Bereich Gesundheitssystem aus: In Deutschland sind 42 Prozent damit zufrieden, in der Schweiz hingegen 73 Prozent und in Österreich sogar 83 Prozent.

Interessant sind auch die Umfrageergebnisse zu künftigen Entwicklungen. Etwa ein Fünftel der Bevölkerung in den drei Ländern hat große Angst vor Überfremdung. Jeder dritte Deutsche hat obendrein "große Angst" vor der Armut im Alter, jeder Vierte fürchtet sich vor dem sozialen Abstieg. "Die Erwartungen an Stabilität sind hier besonders hoch", sagt Soziologe Liebig. "Die fortschreitende Globalisierung, die Öffnung der Märkte verunsichert deshalb womöglich stärker." Zum Vergleich: In Österreich (18 Prozent) und in der Schweiz (22 Prozent) sind die Werte für "große Angst" vor der Armut im Alter deutlich geringer. Auch die Sorge um den sozialen Abstieg ist dort längst nicht so groß wie in Deutschland.

Trotz aller Unterschiede sind sich die Bürger der drei Länder an einem Punkt einig: Die persönliche wirtschaftliche Situation wird allgemein als zufrieden bezeichnet - in Deutschland zu 73 Prozent, in Österreich zu 77 Prozent, in der Schweiz sogar zu 87 Prozent.

Zur Methode der Umfrage: Deutschland: Am 1. und 2. November 2010 befragte das Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag von Reader's Digest bundesweit repräsentativ 1006 Menschen. Österreich: Zwischen 18. Oktober und 2. November 2010 befragte das Meinungsforschungsinstitut Emnid im Auftrag von Reader's Digest landesweit repräsentativ 500 Menschen. Schweiz: Am 26. Oktober 2010 befragte das Marktforschungsunternehmen DemoSCOPE im Auftrag von Reader's Digest landesweit repräsentativ 1008 Personen.