Statements in der Phase des postindustriellen Journalismus

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"Wir müssen schrumpfen", sagte Emily Bell von der Columbia Journalism School beim European Newspaper Congress, der aktuell im Wiener Rathaus 600 Chefredakteurinnen und Chefredakteure und Führungskräfte aus Medienhäusern aus 32 Ländern zusammenführt.

Bell: "Das Geld wird immer weniger, es wird auch nicht mehr werden". Wir befinden uns laut Bell in einem "postindustriellen Journalismus": "In den USA gibt es die Nachrichtenindustrie nicht mehr, sie wird auch nicht wiedererstehen. Die Nachrichten verändern sich, wir haben die breite Öffentlichkeit, die uns Storys zuspielt". Der große Newsroom würde wieder zur kleinen, reduzierten Redaktion.

Es gäbe ein "systemisches Marktversagen", wenn Tageszeitungen verloren gehen und nicht ersetzt werden. Oft verschwinde auch die Lokalberichterstattung. Bell, die zum Thema in den USA umfassende Studien machte, sieht "eine Lücke zwischen dem Niedergang des traditionellen Journalismus und der Nachhaltigkeit von neuen Institutionen mit ihren unterschiedlichen Techniken". In diese Lücke treten Non-Profit-Organisationen oder Einzelbetreiber von Sites, beispielsweise einer Website, die nur von den Mordfällen in Washington D.C. berichtet. Die Journalisten könnten davon leben, meist fehle aber die Kontinuität.

Für Online-Werbung werde in den USA kaum etwas bezahlt, viele Verleger investieren daher in den Videobereich, der von der Werbewirtschaft als attraktiv gesehen werde. Eine Paywall funktioniert nur, "wenn man einen Monopolinhalt hat oder ein hoch interessantes Inhaltsbündel", sagte Bell. Bevorzugtes Paywallmodell sei der Gratiszugang bis zu einem gewissen Bereich. An den Wandel rasch anpassen, gemischte Modelle anstreben - das ist Bells Botschaft an die europäischen Medienhäuser: "Man sollte möglichst viele unterschiedliche Taktiken ausprobieren." Gefragt seien "Journalistinnen und Journalisten, die gut sind und mit den Innovationen mithalten!"

Könnten Innovationen wie die digitale Transformation "aus Medienhäusern Häuser ohne Medien machen?", wurde in der anschließenden Podiumsdiskussion gefragt. "Der Journalismus werde auch in Zukunft im Mittelpunkt stehen, es muss aber nicht sein, dass der größte Teil des Umsatzes daraus kommt", sagte Jan-Eric Peters, Chefredakteur "Welt". Nach dem Erfolg der "Welt"-Gruppe gefragt, antwortet Peters: "Für uns war es das beste Jahrzehnt, wir haben zugelegt, auch journalistisch, und gleichzeitig die Kosten reduziert, die Weltgruppe schreibt schwarze Zahlen".

Dass sich am Journalismus an sich nichts ändern werde, meinte auch Helmut Brandstätter, Chefredakteur "Kurier": "Medienleute werden immer dasselbe machen und es wird immer professionelle Journalisten brauchen." Das heiße nicht, dass sich die Medien nicht ändern. Michael Fleischhacker, zuletzt Chefredakteur "Die Presse": "Dass Tagesprint etwas mit sehr endlicher Lebensdauer ist, haben alle verstanden", die Frage sei "wie organisiert man den Übergang". Peters dazu: "Ich würde vom Prinzip Tageszeitung sprechen, nicht nur von der gedruckten Zeitung. Daher fokussieren wir auf digitales Geschäft. Das ist die Zukunft. Da muss Qualität allererstes Merkmal sein." Abos über Fahrräder zu bekommen, sei misslungen; ein Erfolg sei, das Tablet zu finanzieren, damit der Inhalt dazugekauft werde. Die Paywall, die einen Teil der Geschichten gratis lässt, funktioniere bei "Welt" gut, berichtete Peters.

Eine totale Absage kam zur Finanzierung der Printmedien durch die Politik. Tobias Trevisan, Geschäftsführer Frankfurter Allgemeine Zeitung, dazu: "Solange wir der Politik kritisch auf die Finger schauen, dürfen wir nicht von ihr abhängig sein. Wenn wir der Politik nicht mehr kritisch auf die Finger schauen, gibt es keinen Journalismus mehr!" Eine andere Finanzierungsform ist die deutliche Erhöhung der Abopreise. Laut internen Berechnungen der FAZ würde man von Werbeeinnahmen weitgehend unabhängig, wenn man gleichzeitig auf zehn Prozent seiner Leser verzichten würde, die die FAZ mit einer entsprechenden Preiserhöhung verlieren würde.