Reality-TV-Studie zur Skandalisierung im Fernsehen

Nicht schön

Provokationen in Form bewusster Grenzüberschreitungen und gebrochener gesellschaftlicher Tabus werden in allen sogenannten Reality TV-Genres eingesetzt. Dies sind einige zentrale Ergebnisse einer neuen Studie der Landesanstalt für Medien NRW (LfM).

Bei einzelnen Formaten wie etwa der Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) sei ein starker Anstieg von Provokationen zu verzeichnen, auch beim Coaching-Format „Super Nanny“ (ebenfalls RTL) erreiche die Zahl der provokativen Ereignisse laut einer Pressemeldung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) ein sehr hohes Niveau.

Auch bei Sendungen wie „Gnadenlos gerecht – Sozialfahnder ermitteln“ (Sat.1) oder „U20 – Deutschland, deine Teenies“ (ProSieben) wären Provokationen sehr häufig eingesetzt worden. Es gebe aber auch Formate, bei denen die Anzahl der Provokationen gesunken ist. Von einer generellen Steigerung der Skandalisierung im Reality TV kann demnach nicht gesprochen werden, bezogen auf einzelne Formate jedoch schon. Grenzverletzungen werden dabei gezielt als Strategie eingesetzt, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen.

Der LfM-Studie „Skandalisierung im Fernsehen“ liegt eine umfassende repräsentative Untersuchung von Reality TV-Formaten hinsichtlich Grenzüberschreitungen, Tabubrüchen und inszenierten Skandalisierungen zugrunde. Die Studie umfasst zudem qualitative Fallstudien, Gruppendiskussionen mit Jugendlichen sowie Experteninterviews.

Wissenschaftler vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin und von House of Research Berlin analysierten dafür Castingshows, Doku-Soaps, Coaching-Formate und andere Formen des Realitätsfernsehens. Insgesamt wurden 418 Formate gezählt, die im deutschen Fernsehen im Zeitraum von 2000 bis 2009 in 29 privaten und öffentlich-rechtlichen Fernsehkanälen erstausgestrahlt wurden. Als Formate werden dabei nicht einzelne Sendungen, sondern die Sendungsform in der Gesamtheit bezeichnet, die sich über viele Ausstrahlungen und etliche Jahre erstrecken kann.

Ein Muster der Grenzverletzung sei etwa die Sexualisierung, die z. B. bei „Big Brother“ verstärkt zum Einsatz komme. So sei die Inszenierung der zehnten Staffel im Jahr 2010 im Vergleich zur ersten Staffel 2000 in den Darstellungen von Nacktheit und Sexualität zugespitzt worden. Auch die Behauptung eines Tabubruchs bereits im Vorfeld der Ausstrahlung werde gezielt eingesetzt, um Medienberichterstattung hervorzurufen und damit wiederum öffentliche Aufmerksamkeit herzustellen.

LfM-Direktor Dr. Jürgen Brautmeier sagte: „Die Studie liefert fundierte Einschätzungen der Strategien und Wirkungsweisen des Reality TV. Damit erhalten wir als Aufsicht erstmals aussagekräftige Daten zur Frage einer von vielen empfundenen Steigerung der Skandalisierungselemente und Tabubrüche im Reality-TV. Wir werden darüber eine öffentliche Debatte mit den Programmmverantwortlichen führen müssen und gleichzeitig unsere Anstrengungen in der medienpädagogischen Aufklärungsarbeit verstärken.“

Prof. Dr. Margreth Lünenborg erklärte: „Jugendliche erleben bei den Castingshows eine Art von voyeristischer Sehlust, insbesondere an verbalen Entgleisungen. Verbale Attacken und Beleidigungen werden von Jugendlichen demnach stärker akzeptiert als von Erwachsenen. Erkennbar ist auch, dass Boulevardzeitungen und Fernsehsender im Wechselspiel Skandale provozieren und darüber berichten, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen.“

Bibliografische Angaben: Margreth Lünenborg, Dirk Martens, Tobias Köhler, Claudia Töpper: Skandalisierung im Fernsehen. Strategien, Erscheinungsformen und Rezeption von Reality TV Formaten. Berlin (Vistas) 2011. Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien NRW (LfM), Band 65. ISBN 978-3-89158-542-9

Kurzfassung der Studie (PDF-Dokument)