Journalisten hadern mit Wikileaks

Aufreger des Tages

Annette Milz, Chefredakteurin der deutschen Journalistenzeitschrift "medium magazin", war sich beim Editors Forum des European Newspaper Congress in einem Punkt sicher: Die Journalisten können nicht so tun, als sei seit der ersten Wikileaks-Veröffentlichung vertraulicher Dokumente nichts passiert.

Natürlich sei diese Aufdeckermethode kein Journalismus, denn dieser bereite auf, verifiziere, ordne. Es habe aber einen Beginn neuer Offenheit gegeben, auf den die Medien reagieren müssten.

Der Leiter Außenpolitik der "Süddeutschen Zeitung", Stefan Kornelius, und "profil"-Außenpolitiker Martin Staudinger betrachten Wikileaks sehr kritisch. Das fehlende journalistische Ethos sei das Hauptproblem, sagt Kornelius. Man könne die neuartigen Quellen bejubeln, doch mache die Flut an nicht aufbereiteter Information auch Angst. Es stelle sich plötzlich eine Systemfrage. "In dem Zwiespalt arbeiten wir." Staudinger fürchtet nicht, dass Wikileaks den Journalisten etwas wegnimmt, weil die Mängel dieser in das Netz gepackten Daten nach unklaren Methoden gesammelt, ausgewählt und veröffentlicht würden. "Auch die Frage der Vollständigkeit bleibt unbeantwortet. Die Fülle ist keine Vollständigkeit."

Christoph Siemes ("Die Zeit") ist am ehesten geneigt, dem methodischen Datenklau etwas Sympathie abzugewinnen. "Man muss erst mal dankbar sein, wenn man das Material ins Haus geliefert bekommt", gibt er zu. Den Medien hätte ja selber einfallen können, sich einen anonymen digitalen Briefkasten für Daten aller Art anzulegen und den wachsenden Inhalt auszuwerten. Das sei nicht geschehen. "Die Frage der Verantwortung stellt sich, aber zunächst wird uns eine Menge neues Material zur Verfügung gestellt." Diese Entwicklung sei in einer Phase der Krise des Journalismus zu Stande gekommen. Wer könne sich noch harte, lang dauernde Recherchen leisten? Da stoße Wikileaks hinein. "Wir müssen aufpassen, dass sich das Kräfteverhältnis nicht verkehrt. Wikileaks ist ein verdammt praktisches Prinzip."

Auch in Berlin gäbe es einen "hauptstädtischen embedded journalism", der die Wirklichkeit nicht vollständig abbilde. Diskussionsleiter Michael Fleischhacker, Chefredakteur der Tageszeitung "Die Presse", hakt zustimmend ein. In der jüngeren Generation verbreite sich der Eindruck, dass die schläfrigen, satten Journalisten ein Teil des Establishments seien und erst aufgeweckt werden müssten. "Der Vertrauensverlust gegenüber etablierten klassischen Medien hat den Grund, dass wir unseren investigativen Aufgaben aus Bequemlichkeit oder weil wir mit dem System verwoben sind nicht nachkommen." Folgerichtig stellt sich für Annette Milz die dringende Frage: "Welche Möglichkeiten haben die Medien, dieses Geschäft selbst in die Hand zu nehmen - und wie viele Ressourcen brauchen sie dafür?"