Türkei: Zahlreiche Nachrichtenwebseiten ohne Richterbeschluss gesperrt

Nicht schön

Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die türkischen Behörden auf, den Putschversuch vom Wochenende nicht als Vorwand zur Schließung kritischer Medien zu missbrauchen. In den vergangenen 48 Stunden habe die Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (TIB) auf Bitten des Büros des Ministerpräsidenten mehr als ein Dutzend Nachrichtenwebseiten gesperrt.

"Eine regierungskritische oder Gülen-freundliche redaktionelle Linie allein darf nicht als Beleg für eine Unterstützung der Putschisten herhalten", so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Auch nach dem Putschversuch muss das Handeln der türkischen Regierung im Rahmen der Verfassung bleiben - und die garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit."

Die gesperrten Nachrichtenportale werden verdächtigt, sie hätten "die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung gefährdet". Darunter sind Webseiten wie ABCGazete, Gazeteport, Can Erzincan, Özgür Düsünce, Haberdar, Karsi, Gri Hat, Aktif Haber, Samanyolu Haber, Meydan und Rota Haber. Bis zum Sonntag wurde keine von ihnen schriftlich über Schritte gegen sie in Kenntnis gesetzt, obwohl sie bereits gesperrt waren. Nur die Nachrichtenwebseite Medyascope.tv, ein Projekt des bekannten Journalisten Rusen Cakir, war nach wenigen Stunden Sperrung wieder zugänglich.

Nach türkischem Recht muss ein Richter eine Regierungsanordnung zur Sperrung einer Webseite nachträglich genehmigen. Der Eigentümer von ABCGazete, Merdan Yanardag, äußerte im Gespräch mit ROG Unverständnis für die Sperrung seiner Webseite. Er selbst sei in der Vergangenheit von Richtern eingesperrt worden, die zur Bewegung des umstrittenen Predigers Fethullah Gülen gehörten; nun würden seine Webseite und er als gefährliche Anhänger Gülens verdächtigt. Sie hätten lediglich dazu aufgerufen, für die Demokratie einzutreten und nicht für die Regierungspartei AKP. Diesen Kurs würden sie auch weiter verfolgen.

Die Menschenrechtsanwälte Yaman Akdeniz und Kerem Altiparmak haben nach eigenen Angaben beim türkischen Verfassungsgericht in 25 Fällen Beschwerde gegen den Paragrafen des türkischen Internetgesetzes eingelegt, der den Behörden die Sperrung von Webseiten wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung erlaubt. Die jüngste Beschwerde der Anwälte richtet sich gegen die Sperrung der türkischsprachigen Website der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik im vergangenen April. Bislang liegt noch zu keiner der Beschwerden ein Urteil der Verfassungsrichter vor. Die jüngsten Sperrungen von Internetportalen haben auch Befürchtungen neuen Auftrieb gegeben, nach dem Putsch könnten weitere kritische Journalisten verhaftete werden.

Am Montag wurde ein Haftbefehl gegen Arzu Yildiz erlassen, eine Journalistin der Nachrichtenwebseite Haberdar. In den sozialen Medien kursierten Listen von Journalisten mit angeblichen Gülen-Sympathien, deren Verhaftung geplant sei.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 151 von 180 Staaten.