Hat Spiegel Online die Print-Mutter als Leitmedium abgelöst?

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Michael Spreng, Politikberater und Ex-Chefredakteur von Kölner Express und BamS, hat in einem Interview mit der Fachzeitung journalist das Phänomen der Medienhypes analysiert. Laut Spreng komme Spiegel Online die zentrale Rolle in der "Erregungswirtschaft" zu: "Spiegel Online als wichtigstes politisches Nachrichtenportal bestimmt den Takt und gibt Themen und Tendenzen vor." Spreng geht davon aus, dass die großen Newsportale den Nachrichtenrhythmus verändern.

 "Das vermittelte Weltgeschehen, und damit auch die Politik, findet längst in Echtzeit statt." Die Themenzyklen würden immer kürzer.

"Ein Politiker, der nicht permanent diese Online-Angebote beobachten lässt, kann innerhalb einer halben Stunde die Deutungshoheit über ein politisches Thema verlieren", sagt Spreng. "Das ist ein Wandel, den kann man beklagen, aber er ist längst vollzogen." Spiegel Online - so Sprengs These - habe den Spiegel inzwischen als Leitmedium abgelöst.

Onlineportale müssten in ihrer Funktion als Nachrichtenmedium ständig neue Anreize setzen, müssten mit neuen Wendungen eine Geschichte immer wieder neu verkaufen. Die Gefahr dabei: "Natürlich werden Aufhänger auch künstlich gesucht. Der Qualität der Berichterstattung ist das nicht zuträglich." Vor allem dann, wenn die Spiegel-Online-Sichtweise auf andere Redaktionen abfärbe: "Natürlich wird durch die Art der Aufbereitung auf Spiegel Online eine gewisse Tendenz vorgegeben. Diese Tendenz wird, wie das bei Leitmedien eben so ist, draußen im Land schon mal übernommen", sagt Spreng.

Tageszeitungen sollten laut Michael Spreng stärker auf Analysen, Reportagen und Kommentare setzen. "Wenn ich Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung wäre, würde ich auf Seite eins die besten Analysen und Reportagen anreißen und die klügsten Kommentare platzieren und nicht mehr versuchen, in der Nachrichtengebung mit den elektronischen Medien mitzuhalten."

Das Interview mit Michael Spreng über die Medienhypes des Jahres - von Horst Köhler über Thilo Sarrazin bis Stuttgart 21 - ist in der November-Ausgabe des Medienmagazins journalist nachzulesen.