Gastartikel: Gedanken zum Unternehmen als "Meinungsbildner" im Internet (exklusiv)

Exklusiv

Jede Saison braucht ihren Hype. Spätestens seitdem wir alle verstanden haben, was eine „App“ ist und Unternehmen sich fleißig solche bauen lassen, ist „Social Media“ das Zauberwort der Stunde. Unternehmen begreifen sich neuerdings als soziale Organismen und betreiben eifrige Multi-Channel-Kommunikation mit ihren Zielgruppen.

Abgeschaut haben Sie sich dies bei Millionen von Internetnutzern rund um den Erdball, die über verschiedenste Plattformen miteinander in Kontakt treten. Doch was ist das richtige Maß? Wo trennt sich digitale Spreu vom Weizen?

Keine Frage: Auch ich tippe fleißig und brav Nachrichten über die kleinen Langweiligkeiten meines Alltags für die Außenwelt sichtbar bei Facebook, warte gespannt auf Rückmeldungen und Kommentare. Doch was für Privatpersonen ein Vergnügen ist, erweist sich für Unternehmen als harte Arbeit. Und auch innerhalb der einzelnen Gattungen gibt es große Unterschiede: Während es für Konsumgüterhersteller inzwischen ein selbstverständliches „sine qua non“ der Kommunikation mit den Kunden ist, tun sich insbesondere Firmen mit abstrakten Inhalten schwer. Was will man der Welt mitteilen? Und wozu? Es scheint ein Graus: Ist Social Media für Corporate Communications sozusagen der schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose im Pool der Online-Inhalte?

Landauf landab öffnen sich einem als Agenturbesitzer heute Türen, die bislang eher verschlossen blieben. Der Trick: Statt bei „Kommunikation“ klingelt man derzeit besser bei „Social Media“ – und sogleich ertönt der Buzzer, der den geneigten Kommunikationsprofi Einlass gewährt. Denn: Insbesondere Unternehmen mit komplexen und schwierigen Inhalten fragen sich vermehrt, was sie im flexiblen Internet mitteilen könnten.

Gehen wir die Frage, doch einmal von ihrem Endpunkt her an. Gute Kommunikation berührt und schafft Involvement auf Seiten der Zielgruppe. Darunter ist nicht hemmungslose Zustimmung zu verstehen; vielmehr schafft gute Kommunikation Offenheit auf der Seite der Gesprächspartner, die für das jeweilige Unternehmen relevant sind. So gesehen ist auch Social Media nichts weiter als eine Form der Unternehmenskommunikation, die wie jede andere zunächst nur ein Ziel verfolgen sollte: Rezipienten erreichen, involvieren und im Idealfall zu berühren.

Vor rund 20 Jahren kam professionelle Unternehmenskommunikation bei Professional Service Providern wie Beratungsfirmen oder anderen Dienstleistern mit komplexen Leistungsspektren langsam en Vogue kam, erkannten, wie elegant sie ihre Themen spielen können, wenn sie sie mit Aktualität verknüpfen. Heute fragen sie sich, wie sie das Internet möglichst geschickt für ihre Zwecke nutzen können.

Gerade bei Unternehmensberatungen ist die Frage recht komplex. Während es sich durchaus für sie lohnt, neue Studien, Berichte oder Kommentare zu twittern, ist die Frage, was sie mit Facebook Co. erreichen können, wesentlich kniffliger. Hier stellt sich nämlich die Frage, wer dort für das Unternehmen kommuniziert und wie? Die Kommunikationsabteilungen der entsprechenden Unternehmen verfügen sicherlich nicht über die Manpower, jeden Beitrag, der dort gepostet wird, auf die Übereinstimmung mit der Positionierung hin zu überprüfen. Hier stellt sich sofort die Frage, welche Form kommunikativer Freiheit zu gewähren ist. Da Facebook eine insgesamt sehr private Anwendung ist, bleibt außerdem genau zu prüfen, welche Art von Messaging bei den Nutzern überhaupt ankommt. Selbst Unternehmen wie BMW oder Lufthansa, die klare Fangemeinden haben, müssen sich auf den Kommentarspalten permanent mit negativen Kommentaren auseinandersetzen, wenn die eingestellten Angebote zu werblich werden – der Nutzer hat dann eben leider schnell das Gefühl auf Antenne Düsseldorf zu sein und nicht in seinem digitalen Freiraum.

Trotzdem bleibt Social Media auch für Unternehmen mit komplexen Themen äußerst interessant: Auch wenn sie es nicht mit den Konsumgüterherstellern aufnehmen können in Sachen Kampagnenmanagement und Verbreitung, ist ein Engagement in Sachen Social Media sehr empfehlenswert. Schließlich geht es in der jetzigen Phase darum, Erfahrungen zu sammeln – und die dürften je nach Unternehmen völlig individueller Natur sein. Hier gilt es in der jetzigen Phase in erster Linie auch „zuzuhören“: Also was ist für das jeweilige Unternehmen im Social Web relevant und welche Anliegen äußern die Stakeholder dort? Hier sind Fingerspitzengefühl, Experimentiergeist und kommunikativer Sachverstand gefragt – und die Fähigkeit, die Lauscher aufzumachen und sich auf die Spielwiese Internet einzulassen. Dann beantworten sich viele Fragen von allein.

Dr. Michael Siemer

Dr. Michael Siemer ist geboren und aufgewachsen in Stuttgart. Nach dem Studium der Amerikanistik, Japanologie und Philosophie in Düsseldorf, Köln, Tokio und Trier folgte 1996 die Promotion zum Dr. phil. Zu seinen beruflichen Stationen zählen RP-Online, Capital, BIZZ, A.T. Kearney und Pleon. Seit 2001 ist er Geschäftsführer der von ihm gegründeten westend medien GmbH in Düsseldorf.