Buchkritik: Houellebecq - da schmunzelt die PR-Abteilung von Mercedes (exklusiv)

Kommentar

Die Feuilletonisten der deutschen Medien überschlugen sich, wie man unschwer auf der Rückseite vom Einband des neuen Werkes „Karte und Gebiet“ lesen kann: „Perfekt“, meint die ZEIT, „sein bisher bester Roman“ die Süddeutsche Zeitung. Die Rede ist von Michel Houellebecq, einer der bekanntesten und sicherlich lesenswertesten unorthodoxen Buchautoren der Gegenwart.

Groß war daher meine Erwartungshaltung, zumal ich sein von den Kritikern damals eher verrissenes Vorgängerwerk „Die Möglichkeit einer Insel“ als Sciene Fiction-Fan hervorragend fand.

Zur Story seines aktuellen Werkes: Der Künstler Jed aus wohlhabender Familie (Vater erfolgreicher Architekt, Mutter Selbstmörderin) wird peu à peu berühmt und porträtiert Prominente, darunter Michel Houellebecq. Houellebecq gibt sich damit im Buch die wichtigste Rolle neben dem Protagonisten. Kurz nachdem Jed das Bild an Houellebecq übergeben hat, wird der Schriftsteller bestialisch ermordet und das Bild geklaut. Jed hilft der Polizei bei der Aufklärung. Im Epilog wird dann schließlich der Mörder von Houellebecq gefunden und auch Jed geht über die Wupper. Ende! Schon an dieser – sicherlich etwas gerafften Zusammenfassung der Handlung – kann man erkennen, dass der Autor dieser Zeilen seine massiven Probleme mit dem Werk hat.

Ein Grund hierfür ist sicherlich die unverständliche Überfrachtung des Buches mit Markennamen und -artikeln. Einige Beispiele: „Der Kühlschrank war leer bis auf eine Schachtel Pralinen von Debauve & Gallais und einem angebrochenen Karton Orangensaft von Leader Price. Als Jed den Blick durch die Küche schweifen ließ, entdeckte er eine Kaffeemaschine und bereitete sich einen Nespresso zu“. Keinen stinknormalen Kaffee, einen Nespresso natürlich! So geht das fast Seite für Seite. Auch mit Automarken hat es der französische Bestsellerautor in den besten Jahren: „Die A-Klasse von Mercedes ist das ideale Auto für kinderlose, alte Ehepaare, die in der Stadt oder in einem Vorort leben … Seit über fünfzig Jahren ist die Bourgeoisie der ganzen Welt – trotz der eindrucksvollen wirtschaftlichen Schlagkraft von Toyota und der Hartnäckigkeit von Audi – Mercedes treu geblieben.“ Da schmunzelt die PR-Abteilung von Mercedes. Renault kommt bei Houellebecq nicht so gut weg: „Sobald Jasselin die Tür seines Renault Safrane öffnete, begriff er, dass er einen der schlimmsten Momente seiner Laufbahn erleben würde.“ Uijuijui!

Irgendwo erfährt man dann noch, wie toll Houellebecq, Entschuldigung, die Protagonisten des Romans, Audi finden, aber das spielt schon keine Rolle mehr. Selbst wenn die permanente Nennung von Marken ein Stilmittel sein sollte, um zu zeigen, wie konsumorientiert und oberflächlich unsere Gesellschaft doch ist: Hier hat Houellebecq leider ganz massiv und unkünstlerisch übertrieben und es bleibt der fade Beigeschmack: Houellebecq selbst ist so!

Eine weitere Übertreibung ist die häufige Nennung seines Namens in verschiedenen Varianten in kursiver Form: Michel Houellebecq, Schriftsteller, der bekannte Schriftsteller, der Autor der Elemtarteilchen und so weiter. Der „Tabubruch“, sich selbst als „berühmten“ Autor in die Handlung des Romans einzubringen, riecht nicht nur streckenweise nach Eigenlob, auch wenn der Houellebecq in „Karte und Gebiet“ von dem echten Houellebecq nicht als sympathischer, sondern eher als ein menschlich bedauernswerter Zeitgenosse dargestellt wird und schließlich auch so endet.

Eine „süffisante Persiflage auf den Pariser Kunstbetrieb“ soll das ganze laut welt.de sein. Ich erkenne in „Karte und Gebiet“ leider nur nur ein Alterswerk, das keine Houellebecq-typischen lesenswerten Tabubrüche mehr enthält, sondern – vergleichbar mit einem wohlhabenden Menschen im gehobenen Alter, der bereits „alles erlebt hat“ – eher gelangweilt daherkommt. Schade eigentlich …

 

 

 

Michel Houellebecq
Karte und Gebiet
400 Seiten, Hardcover
Übersetz.(a.frz.) Wittmann, Uli
Originaltitel: La carte et le territoire
Flammarion (Paris) 2010
EUR 22,99 [D] / 34,90 sFr.
Erstverkaufstag: 16.03.2011
ISBN 978-3-8321-9639-4