FAS-Feuilleton-Chef kritisiert Jury des Henri-Nannen-Preises

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FAS-Feuilleton-Chef Claudius Seidl geht mit der Jury des Henri-Nannen-Preises hart ins Gericht. Sie habe sich bei der Entscheidung, dem Spiegel-Autor René Pfister den Reportagepreis abzuerkennen, blamiert und unglaubwürdig gemacht.

"Wenn diese Jury mit ihrem Chefredakteursproporz zerbräche, wäre es ein Dienst für den Journalismus", sagte Seidl in einem Streitgespräch des Medienmagazins journalist.

Zeit-Dossier-Leiter Stefan Willeke hält die Entscheidung der Jury zwar für hart, aber vertretbar. Konsequenzen für das Reportage-Genre will Willeke daraus allerdings nicht ableiten. "Wir brauchen keine Zehn Gebote der perfekten Reportage. Wenn die Jury des Henri-Nannen-Preises Kategorien aufstellt, wird sie ihren Grund dafür haben. Aber wir müssen uns als Reporter keineswegs daran halten", so Stefan Willeke.

Der Zeit-Reporter, selbst mehrfach mit dem Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet, gibt zu, regelmäßig Szenen für seine Reportagen konstruiert zu haben. In solchen Szenen steckten häufig tagelange Recherche, Dutzende Gespräche. "Das sind ganz seriöse Methoden", so Willeke. "Aber wenn ich eine Schlüsselszene entwickelt habe, die den Text grundiert, habe ich das Beschriebene auch selbst gesehen."

Claudius Seidl hält bereits die Auswahl der zu prämierenden Reportage-Stücke des Henri-Nannen-Preises für falsch. "Die Jury misst die Qualität einer Geschichte daran, wie schön alle Fäden zusammenlaufen. Jede Figur wird genau erfasst, nirgendwo bleibt ein Abgrund." Das seien trivial-ästhetische Kriterien, die mit dem wirklichen Leben nichts zu tun hätten. "Das ist Kitsch", so Seidl.

Beim Namensgeber des Journalistenpreises, dem "rasenden Reporter" Egon Erwin Kisch, sind sich die beiden Diskutanten im journalist-Gespräch einig. Für Stefan Willeke ist Kisch kein Vorbild, da dieser der Meinung gewesen sei, dass Reporter keinen Standpunkt haben sollten. "Eine Schnapsidee", so Willeke. "Der Reporter ist kein neutrales Wesen." Claudius Seidl geht in seiner Kritik noch weiter und wirft Kisch ein ideologisch geprägtes Weltbild vor. "Mit Verlaub, Kisch war ein sozialistischer Märchenonkel."

Das komplette Interview ist hier online bei journalist.de abrufbar.