"Ein Aussterben kann schließlich auch Millionen Jahre dauern, siehe Dinosaurier"

Interview

Wie geht es Computerspiel-Magazinen wie der GameStar & GamePro aktuell? Sind die Reichweiten wirklich so dramatisch gesunken? Ist die Print-Version bald Vergangenheit? Und welche Rolle spielt Paid Content heute? Ein Exklusiv-Interview mit Heiko Klinge, Chefredakteur der GameStar & GamePro:

Die Print-Presse befindet sich im Rückgang, manche gehen soweit und sagen "Print sterbe aus". Würdest du dieser These im Bereich der Videospiel-Presse zustimmen oder ihr widersprechen?

Es hängt davon ab, von welchem Zeitraum wir reden. Ein Aussterben kann schließlich auch Millionen Jahre dauern, siehe Dinosaurier. Fakt ist, die Print-Auflagen sind stark gesunken. Deutlich härter betrifft dies Medien mit online-affinen Zielgruppen, wie eben Magazine über Computerspiele. Als Gegenbeispiel zum Print-Sterben ist beispielsweise der Gartenbereich mit der Landlust zu nennen. Trotzdem bin ich der Meinung, dass es Print-Magazine noch sehr sehr lange geben wird, auch für Computerspiele. Sie müssen sich nur verändern. An die Auflagenzahlen, die sie in den 90ern oder Anfang des Jahrtausends erreicht haben, werden sie aber mit Sicherheit nicht wieder herankommen. Um konkret zu werden: Bei Webedia, dem Medienhaus hinter der GameStar, war Print, den Geschäftszahlen des Jahres 2016 nach, eines der erfolgreichsten Geschäftsfelder.

Bildet der Absatz der Print-Magazine noch die größte Sparte der GameStar und des Verlagshauses?

Nein. Der Gesamtumsatz teilt sich jetzt auf viel mehr Geschäftsfelder auf. Wir haben das Online-Geschäft, das Print-Geschäft, Dienstleistungen und ein sehr großes und starkes YouTube-Geschäft. Sprich, alles was früher fast nur Print war, teilt sich nun auf viele Geschäftsbereiche auf. Das ist aber keine Besonderheit des Computerspiele-Magazins, sondern allgemein im Mediensegment der Fall.

Also müssen sich Redaktionen und Verlagshäuser neuen Plattformen und Distributionswegen anpassen, um die Leser weiterhin zu binden?

Die Medienhäuser müssen dahin gehen, wo die User sind. Das Medienkonsumverhalten verändert sich und das ist nichts Neues. Wir haben lediglich eine Beschleunigung der Ereignisse. Dazu muss man sich nur einmal den Transfer anschauen, der gerade angefangen hat und immer stärker wird, etwa bei der Musik. Von der Schallplatte zu CDs, hin zu iTunes und anderen digitalen Plattformen bis zu dem aktuellen Trend des Streamings. Beim Fernsehen sieht es da sehr ähnlich aus. Befragt man in einer Schule die 15 und 16 Jährigen, wer noch Fernsehen schaut, wird die Antwort auch oft auf Netflix, Amazon Prime oder auch gleich YouTube gelenkt. Sprich der Medienkonsum und das Medienverhalten verändert sich einfach. Und genau dem müssen sich diejenigen, die Medien produzieren, völlig unabhängig davon, ob es Filme, Musik oder News sind, anpassen, wenn sie ihre Zielgruppe noch erreichen wollen. Ich kann ja heute auch nicht mehr auf Steintafeln schreiben, wenn ich möchte, dass meine Artikel gelesen werden.

Ist dieser Rückgang von Print-Magazinen auf den Durchbruch des Webs zurückzuführen?

Nein, ich würde es nicht nur am Web festmachen, sondern an der Gesellschaft. Wie konsumiert der Mensch heutzutage Informationen? Früher hatte er seine Tageszeitung und die Tagesschau und heute ist es viel diversifizierter. Natürlich ist das Internet ein elementarer Bestandteil. Das Internet hat unser Leben komplett verändert aber das betrifft ja nicht nur die Medien. Es betrifft unser gesamtes Informationsverhalten. Aber es unterscheidet sich auch in der Plattform. Denn das Internet selbst befindet sich ebenfalls im Wandel. Das Internet von 2005 hat nichts mehr zu tun mit dem Internet von 2017. Die meisten Leute, gerade in der jüngeren Zielgruppe,konsumieren das Internet nicht mehr über einen Desktop PC, sondern über das Handy und auch das hat wiederum Auswirkungen auf den Medienkonsum. Wenn ich meine Informationen auf einem Handybildschirm konsumiere, dann wirkt sich das auch auf die Art und Weise aus, wie die Inhalte aufbereitet werden müssen, um eine möglichst angenehme Erfahrung für den User zu schaffen.

Immer mehr Inhalte stehen kostenfrei im Web zur Verfügung und jedem ist es möglich, Inhalte zu publizieren. Gibt es dadurch eine größere Konkurrenz, auch wenn diese nicht journalistisch ausgebildet ist?

Nein, eher im Gegenteil. Nur weil jeder etwas im Internet publizieren kann, heißt das noch lange nicht, dass er damit viele Menschen erreichen kann. Natürlich hat sich die Art und Weise geändert, wie sich Menschen über Spiele informieren. Das hat aber weniger mit den Artikeln zu tun, sondern eher der Veränderung des Medienkonsumverhalten. Der Markt ist diversifizierter geworden. Es gibt nach wie vor eine ganze Menge Leute, die einen Test von GameStar lesen wollen, weil sie der Marke GameStar vertrauen. Es gibt mittlerweile aber auch viele Leute, die sagen, „es reicht, wenn ich mir Amazon Kundenrezensionen durchlese“ oder auf die Meinung der User bei Steam vertrauen. Daher sind viel weniger Blogs ein Thema der Informationsbeschaffung, als beispielsweise Userreviews oder Let’s Plays, bei denen die Leute sagen, „Ich will wissen was Gronkh dazu sagt“ oder „Ich will das Spiel gar nicht mehr selber spielen, sondern ich will Gronkh das spielen sehen.“. Es hat also nichts per se mit dem Internet zu tun. Das Internet ist letzten Endes nur ein Vertriebskanal. Ich höre oft die Aussage, „Ihr erreicht keine Menschen mehr.“ dazu kann ich nur sagen, letzten Endes erreichen wir mehr Menschen als je zuvor. Die höchste Auflage der GameStar lag bei knapp 365.000. Im Gegensatz dazu hat alleine unser YouTube Kanal über 800.000 Abonnenten, auf Facebook haben wir über 300.000 Fans und die Webseite kommt auf rund 4.000.000 Nutzer im Monat. Die User sind einfach woanders.

Wie verhält sich die GameStar im Vergleich von Web und Print? Gibt es Unterschiede in den Artikeln und der Struktur der Artikel?

Wir haben den Print-Bereich massiv umgebaut in den letzten Jahren. Wir müssen gucken, welche Zielgruppe welche Inhalte wie konsumiert. Als klassisches Beispiel ist dazu zu nennen, dass die meisten User Facebook über das Handy konsumieren. Das heißt, du postet einen Link auf der GameStar Seite zu einem Artikel. Natürlich kann man keinen zehn Seiten Artikel verlinken, wenn man weiß, dass die meisten User diesen Artikel auf dem Handy konsumieren. Sondern dann wollen die User kurze Nachrichten, kurze Texte, etwas schnell Konsumierbares, einen schnellen Lacher oder ein kurzes Video, das dann höchstens 90 Sekunden lang sein darf. Hast du aber jemanden, der sich ganz bewusst ein Print-Magazin kauft und dafür sechs bis sieben Euro ausgibt, dann möchte dieser Mensch damit Zeit verbringen und sich darauf konzentrieren. Das bedeutet, dann kannst du zehn Seiten Lesestrecke bringen. Auf der anderen Seite werden im Print Previews und Reviews uninteressanter, da wir dort nicht mit der Aktualität des Internets konkurrieren können. Wir können im Print also Geschichten bringen, die im Internet nicht gut funktionieren. Deswegen haben wir in den letzten Jahren das Print-Magazin weg von News, Previews und Service hin zu Reportagen und Hintergrundartikeln entwickelt.

Werden dennoch alle Artikel, die im Print erscheinen auch im Web publiziert?

Es muss immer überlegt werden, welche Inhalte wollen wir machen, für welche Plattform eignen sich die Inhalte, und wie müssen diese aufbereitet werden. Wir haben bei GameStar den Luxus, dass wir auch Online einen Paid-Content-Bereich haben, wo die User, weil sie Geld dafür zahlen, großen Wert auf hochwertigen und aufwendigen Content legen. Entsprechend haben wir da eine Wechselwirkung, dass wir die Reportagen, die im Print erscheinen auch Online verwerten können, weil wir wissen, dass die User die Inhalte wertschätzen. Früher war es so, dass wir eine Print-Redaktion von sechs bis acht Leuten hatten und zwei bis drei Contentmanager, die die Print-Inhalten zu Online-Inhalten verarbeitet haben. Heute hingegen ist es umgekehrt. Wir haben eine zehn bis fünfzehn köpfige Online-Redaktion und zwei bis drei Managing Editors, die die Online-Inhalten in viel Detailarbeit zu Print-Inhalten aufbereiten. Wir passen aber sehr darauf auf, dass die Inhalte, die wir für Print produzieren, auch einen Wert haben.

Und wie sieht es mit den Videoproduktionen aus? Die Videospiel-Magazine waren früher oft auch für ihre Testvideos und Vollversionen auf den beiliegenden DVDs beliebt. Werden alle Videos bei YouTube veröffentlicht oder gibt es exklusive Print-Magazin Beilagen?

Es wird kein Content nur für die DVDs produziert. Dadurch, dass heute alles Online ist, kann man sehr gut auswerten, was wie viel Interesse generiert. Und es ist so, dass gerade die aufwendigen „Redaktions Folgen“ für uns immer ein großer Spaß waren und eine spitze Zielgruppe damit auch immer unglaublich viel Freude hatte. Aber letzten Endes, wenn man mit vielen Menschen bis zu zwei Wochen viel Arbeit hineinsteckt und es mit den Zuschauerzahlen vergleicht, dann wird es schon sehr eng. Und bei den Testvideos ist es so, dass wir nach wie vor den gleichen Qualitätsanspruch haben wie früher, aber die Videos in erster Linie für unsere Website und auch die DVD produziert werden. Auf YouTube erscheinen die Testvideos zwar auch, aber YouTube ist hier nicht unser Hauptfokus. Es gibt allerdings Formate, die eher auf die YouTube Zielgruppe gemünzt sind. Dazu zählen unter anderem die „GameStar News“ oder„Google halt“. Die Formate sind ein bisschen jünger und entertainiger.

Werden die Print-Magazine dennoch mit DVD veröffentlicht?

Die Print-Magazine haben nach wie vor DVDs, aber ich glaube, dass die DVD viel schneller aussterben wird als Print, denn der einzige Grund warum es noch die DVD im Magazin gibt, ist eigentlich die Vollversion. Es ist aber absehbar, dass eine Vollversion irgendwann nicht mehr auf eine DVD passen wird und die Blu-Ray-Produktion nach wie vor zu teuer ist, um sich für ein Magazin zu rentieren.

Die GameStar bietet eine Plus-Mitgliedschaft (Paid-Content) auf der Website an. Ist diese inhaltlich mit dem Erwerb eines Print-Magazins zu vergleichen?

Eigentlich nicht, nein. Bei der GameStar Plus möchten wir für diejenigen etwas Besonderes bieten, die bereit sind, für gute Online-Inhalte zu bezahlen. Dazu gehören aber nicht nur inhaltliche Aspekte, wie exklusive und aufwendige Reportagen oder auch Web TV-Shows wie GameStar TV, sondern auch Services wie eine werbefreie Website und keine Cookies, weil wir sagen, „Du hast uns schon bezahlt, wir müssen mit dir kein Geld mehr verdienen.“. Außerdem bieten wir monatlich eine kostenlose Vollversion zum Download an, die aber eine andere ist, als die auf der DVD zum Print-Magazin. Aber auch Rabatte bei exklusiv Partnern, wie etwa 10 % bei Games Planet gehören zu den Services für Plus Mitglieder. Wir produzieren also Sachen exklusiv für den Paid-Content-Bereich, genauso, wie wir Artikel exklusiv für das Print-Magazin produzieren.

Bietet der Umsatz durch Internet-Werbung, YouTube-Monetarisierung und Plus-Mitgliedschaften im Internet einen Ersatz für die sinkenden Verkaufszahlen des gedruckten Magazins?

Wir haben jetzt bei Webedia eine höhere Marge, als wir bei unserem alten Unternehmen IDG hatten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Print generell eine deutlich höhere Marge hat als das Online-Geschäft oder auch YouTube. Ganz einfach daher, dass bei Content, den du auf Fremdplattformen stellst, der Plattformhalter, in diesem Falle Google, auch ein Stück vom Kuchen abhaben will. Das senkt dann natürlich die eigene Marge. Grundsätzlich geht es dem Unternehmen aber sehr gut. Die sinkenden Print-Zahlen haben uns zwar vor Herausforderungen gestellt, weil Umsätze anderweitig generiert werden mussten, wir hatten aber Stückweit das Glück, dass wir schon immer sehr stark auf Video-Content gesetzt haben, was uns wiederum den Sprung auf YouTube sehr stark erleichtert hat. Zudem haben wir schon immer viel Wert auf hochwertige journalistische Inhalte gelegt, die sich Online deutlich leichter monetarisieren lassen, als würdest du nur News runterkloppen.

Wie denkst du müssen die Verlagshäuser und Redaktionen ihre Arbeitsweise in Zukunft anpassen, damit sie auf dem Markt weiter bestehen können? Werden Crossmediale Publikationen wichtiger?

Ja, entweder sie machen es oder sie werden sterben. Sie müssen sich der Realität stellen, dass ein 15-Jähriger heute Medien anders konsumiert, als es ein 15 Jähriger vor 20 Jahren gemacht hat. Letzen Endes muss der Kern der Nachricht zählen und nicht die Plattform, wo sie erscheint.

Das Interview führte Luca Lange, Student Crossmedia Productions & Publishing am SAE Institute in Hamburg.