Buchtipp: Verschwörungstherorien - eine Frage der Perspektive

Kommentar

Beflügelt von dem Anstieg der Fake News und befeuert vom Internet haben Verschwörungstheorien aktuell Hochkonjunktur. Bücher, die versuchen, sich dem Thema seriös zu nähern, gibt es dagegen selten. Hier ist eines:

9/11? Die CIA. Die Weltherrschaft? Reptiloiden aus dem Erdinneren? Die Bundesrepublik Deutschland - ein Fake-Staat? Es gibt unzählige Verschwörungstheorien, und noch weit mehr Anhänger, die fest glauben, was anderen im besten Fall ein Kopfschütteln entlockt. Wie kommt das?

Die Autoren Ingo Leipner und Joachim Stall versuchen, in ihrem neuen Buch Verschwörungstherorien - eine Frage der Perspektive (Redline Verlag), sich diesem Thema auf offen-objektive Art und Weise zu nähern. Dafür haben sie mit Verschwörungstheorie-Anhängern über viele Interviews gesprochen und dabei versucht, zu ergründen, was sie antreibt und wie sie zu ihrem „ver-rückten“ Weltbild gekommen sind. Dabei ergeben sie sich dankenswerterweise keinen oberflächlich-populistischen "Argumenten", sondern versuchen, sich ernsthaft und seriös dem Thema anzunähern.

So erläutern sie zum Beispiel, dass laut Untersuchungen eine Relation zwischen der individuellen Überempfindlichkeit gegenüber Außenreizen und der Wahrscheinlichkeit, dass man zum Verschwörungstheoretiker wird, besteht. Ein Effekt dieser Überempfinflichkeit ist es, Muster zu erkennen, wo kein scheinbares Zufallsprinzip mehr "sichtbar" ist. Nobelpreisträger Daniel Kahneman erläutert ides am Beispiel des Geschlechts von 3 x 6 Säuglingen. Für sie muss gelten: Die Reihenfolge der Geburt ist vom Zufall abhängig, die Geburten finden unabhängig voneinander statt und die Anzahl der vorher geborenen Jungen und Mädchen hat keinen Einfluss auf das Geschlecht der später geborenen. Drei Reihenfolgen sind jetzt sichtbar (Jungen: J, Mädchen: M):

1) J J J M M M

2) M M M M M M

3) J M J J M J

Der große Irrtum unser Intuition laut Autoren: Serie 1 und 2 weisen klare Muster auf, die kein Zufall sein können.

Statistisch gesehen ist das nicht richtig, aber es ist die ideale Ausgangsbasis für Verschwörungstheorien. Auch wenn man über solche anschaulichen Beispiele sicherlich diskutieren kann, ist es dem Buch hoch anzurechnen, das es erstmals versucht, die Gedankenwelt eines Teils der Verschwörungstheoretiker zu erfassen. Und bevor die Trolle jetzt von der Leine gelassen werden: Für die Autoren steht es ebenfalls fest, dass es echte Verschwörungen gibt.

Übrigens stellen die beiden auch fest, dass das Niveau der Bildung die beste Prophylaxe gegen Verschwörungstheorien ist.
Lesenswert und eine klare Empfehlung für alle, die sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen müssen und/oder wollen.
Zum Buch ist derzeit auch ein Film in Arbeit, der vom Co-Autor und Dokumentarfilmer Joachim Stall gedreht wird.

 

Dipl. Volksw. Ingo Leipner | Joachim Stall
Verschwörungstheorien - eine Frage der Perspektive
Von Chemtrails, Ufos, Reptiloiden und Reichsbürgern
Hardcover, 240 Seiten
Erschienen: Mai 2019
ISBN: 978-3-86881-744-7
19,99 €
inkl. MwSt.